Vorhofflimmern
Arbeitskollegen mich so sahen, deshalb wählten wir
eine Klinik aus dem nächsten Landkreis aus. Sie beschwerte sich mit keinem Wort
über die rund 40km Fahrt und ich war überaus dankbar für ihr Verständnis.
Ich versuchte mir einzureden, dass das ganze Theater doch
etwas Gutes hatte. Schließlich konnte ich zum ersten Mal völlig inkognito eine
fremde Notaufnahme ausspähen.
Auf den ersten Blick wirkte alles genauso wie bei uns. Auf
den zweiten auch.
Hier herrschte das gleiche organisierte Chaos, dieselbe
allgemeine Hektik und es gab genau die gleichen ungeduldigen Idioten im
Wartezimmer, die stets darauf bedacht waren, eine kleine Revolution
anzuzetteln.
In unserem Fall war der Quälgeist eine ältere Frau, mit
Sicherheit bereits in der Rente, die mich langsam, aber sicher den letzten Nerv
kostete. Erst hatte sie noch erklärt, dass sie sich ja eigentlich nur den
kleinen Zeh gestoßen hatte, was aber auch gar nicht so schlimm war. Trotzdem
dachte sie sich halt, dass sie ihn mal kurz anschauen lassen sollte. Man konnte
ja nie wissen, oder?
Schon nach einer halben Stunde ging´s dann los.
Warum denn das hier so ewig dauerte?
Ob die uns denn hier drin vergessen hätten?
Seit einer Ewigkeit war keiner mehr aufgerufen worden!
Machten die hier Kaffeepause, oder was?
Dann wurde es mir zu viel…
„Haben Sie sich auch an den Augen verletzt, oder warum sind
Ihnen die beiden Rettungswagen nicht aufgefallen, die vorhin an uns
vorbeigefahren sind?“, fragte ich freundlich.
Alle Anwesenden hielten gespannt den Atem an. Die Frau wurde
augenblicklich puterrot im Gesicht.
„Also, was erlauben Sie sich!“, entrüstete sie sich
schließlich.
„Was erlauben Sie sich denn? Glauben Sie wirklich, dass ihr
bekackter Kleinzeh einem Verkehrsunfall vorgezogen werden sollte?“
Sie schnappte nach Luft. „Was fällt Ihnen ein!“
„Nein, was fällt Ihnen ein! Wenn Sie an einem Sonntag nichts Besseres
zu tun haben, als wegen so einem Scheissdreck in die Notaufnahme zu kommen,
dann müssen Sie gefälligst warten!“
„Ach ja? Und Sie haben wohl mehr Berechtigung hier zu sein,
als ich?“
„Wissen Sie, eigentlich geht Sie das überhaupt nichts an,
aber ja, das habe ich sehr wohl. Ich brauche ein ärztliches Attest, weil ich
gestern überfallen, zusammengeschlagen und fast vergewaltigt worden wäre“,
sagte ich ernst und sah die alte Schrapnelle herausfordernd an. „Also, ich
denke doch, dass mein Leiden das Ihre übertrumpft, nicht wahr? Übrigens hat es
absolut keine Konsequenz, ob ihr kleiner Zeh gebrochen ist, oder nicht. Heilen
muss er sowieso von selber. Schon alleine deswegen könnten Sie sich die
Warterei sparen und unser aller Nerven schonen.“
Die Frau öffnete und schloss ihren Mund ein paar Mal. Dann
rauschte sie mit einer ungeahnten Geschwindigkeit aus dem Wartezimmer und ward
nicht mehr gesehen. Die übrigen Patienten spendierten mir einen kleinen Applaus
und feierten mich kurz wie eine Heldin. Ich verteilte ein paar Kusshände und
wurde dann auch schon in den Behandlungsraum geholt.
Eine erfahrene Oberärztin hatte, zu meinem Glück, Dienst und
sie behandelte meinen Fall äußerst professionell und ohne unnötiges Trara. Ich
wurde untersucht, fotografiert und frisch verbunden. Nach einer kurzen
Diskussion ließ ich mich sogar noch röntgen, weil mir das Argument, dass eine
verweigerte Untersuchung vor Gericht nicht sehr gut ankam, einleuchtete.
Natürlich war nichts gebrochen und ich verließ mit Vera, dem
Notfallbericht und einer Krankmeldung nach nur zwei Stunden die Notaufnahme.
Ja, es war wirklich genau wie in unserer Ambulanz.
Kapitel 17
Ziellos lief ich ihn meiner Wohnung
hin und her und trug dabei mein Handy spazieren.
Ich musste Desiderio anrufen und ihn darum bitten, eine
Aussage bei der Polizei zu machen. Das konnte doch nicht so schwierig sein! Im Endeffekt
war es sogar nur ein Satz, den ich zu sagen hatte. Aber warum stellte ich mich
dann so an?
Also los – Nummer wählen, Verbindung aufbauen, Sprechen...
war doch gar nicht so schwer.
Weil ich aber ein Feigling war, hatte ich zuerst einmal
Sandra an der Strippe. Ich erklärte ihr knapp, dass ich einen Unfall hatte und
deswegen krankgeschrieben war. Vorerst für eine Woche, dann würde ich mich
wieder melden. Natürlich wollte sie wissen, was das denn für ein Unfall war und
ich redete mich damit heraus, dass ich momentan total durcheinander war und ihr
alles baldmöglichst erzählen würde. Schweren Herzens akzeptierte
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