Vorhofflimmern
treiben und ich trat völlig benebelt von den vergangenen Stunden in die
frische Nacht hinaus.
„Das war soo toll!“, schwärmte ich und taumelte lachend gegen
Desiderio.
Die ganze Euphorie wirkte sich tatsächlich wie ein Rausch auf
meinen Körper aus. Ich fühlte mich locker, gut gelaunt und redete die ganze
Zeit über wie ein Wasserfall. Im Geiste sah ich immer noch die blitzenden
Scheinwerfer vor mir, die tolle Sängerin, wie sie über die Bühne wirbelte…
Diesen Abend würde ich bestimmt niemals vergessen.
„Wie oft hat sie sich eigentlich umgezogen? Das waren doch
mindestens 20 verschiedene Kostüme!“, plapperte ich weiter.
„Keine Ahnung“, sagte Desiderio, „aber die Bühnenshow war
wirklich fantastisch.“
„Welche Untertreibung!“, rief ich. „Sie war gigantisch,
unbeschreiblich, phänomenal!“
Meine Stimmung trübte sich, als ich den schwarzen Alfa sah.
Wenn wir einstiegen, dann würde der Abend vorbei sein. Und ich wollte nicht,
dass der Abend vorbei war! Ich wollte weiterhin jubelnd und singen und tanzen!
Außerdem war die Schulter, an der ich mich den ganzen Weg bis hierher angelehnt
hatte, so herrlich warm und stark…
Desiderio sperrte den Wagen per Fernbedienung auf. Das
Blinken wirkte irgendwie deprimierend.
„Jetzt ist es vorbei“, schniefte ich laut und verließ
schweren Herzens die starke Schulter, um mich auf die Beifahrerseite zu
begeben.
„Tja, selbst Pink muss ab und zu ein wenig schlafen“, meinte
Desiderio amüsiert. „Aber ich habe das neue Album von ihr im Auto, falls dich
das ein wenig tröstet.“
„Was? Kein Iron Maiden?“, feixte ich.
„Wenn dir das lieber ist…“
„Nein, nein! War bloß ein Witz!“
Wir stiegen in den Wagen und legten synchron die Gurte an.
Dabei berührten sich unsere Hände und wir sahen uns gleichermaßen verschreckt
an.
Dass ich nun in dieser Situation verlegen wurde, war klar,
aber dass Desiderio einen Moment lang unsicher wirkte, war fast ein wenig
gruselig.
Wie auf Kommando blinzelten wir und sagten gleichzeitig:
„Also lieber Pink!“
Wir lachten beide ein wenig übertrieben und sahen gekonnt in
verschiedene Richtungen. Während er am Autoradio herumfummelte, tat ich so, als
wäre urplötzlich mein Schnürsenkel aufgegangen. Erst als der Alfa sich in
Bewegung setzte, tauchte ich aus dem Fußraum wieder auf. Pink begann zu singen,
wir lauschten schweigend und hingen unseren eigenen Gedanken nach.
Das Schweigen zwischen uns war keineswegs unangenehm. Und das
vermochte durchaus etwas zu bedeuten, zumindest für mich. Peinliche Stille mit
bedeutungslosen Worten zu füllen, war einfach, aber einfach nur zu Schweigen
und sich dabei wohl zu fühlen, zeugte von einer wahren zwischenmenschlichen
Beziehung.
Erst als wir München schon weit hinter uns gelassen hatten,
drehte Desiderio die Musik leiser.
„Darf ich dich etwas fragen?“, wollte er wissen.
Sein Tonfall ließ mich sofort aufhorchen. Neugierig musterte
ich sein Profil, das nur von dem schwachen Licht der Armatur erleuchtet wurde.
„Natürlich“, sagte ich.
Er machte eine kurze Pause. Ich bemerkte, dass er mit seinen
Zeigefingern unablässig die Naht am Lenkrad auf und ab fuhr, als wäre er ein
wenig nervös. Die Frage, die er mir stellen wollte, schien er sehr ernst zu
nehmen. Gespannt wartete ich ab.
Schließlich räusperte er sich vernehmlich und fragte: „Habe
ich meine Chance genutzt?“
Ich atmete tief ein.
Diese Frage war ihm so wichtig?
Ein Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus und zauberte
mir ein Lächeln auf die Lippen.
„Der Abend ist noch nicht vorbei“, antwortete ich erstaunlich
gelassen.
Desiderio sah mich an. „Ist er nicht?“
„Nein, ich bin viel zu aufgedreht, um jetzt ins Bett zu
gehen.“
Jetzt war er eindeutig nervös!
„Hm“, machte er und nestelte am Lenkrad herum.
Gott, war das herrlich! Zum ersten Mal war ich am Zug und
konnte die Coole spielen!
„Ja. Aber bis wir daheim sind, schläft ganz Wollbach bestimmt
schon“, überlegte ich laut.
„Bestimmt“, pflichtete er mir bei und blickte stur geradeaus.
Ich tat so, als würde ich über den weiteren Verlauf des
Abends nachdenken, obwohl ich schon ganz genau wusste, wohin wir fahren würden.
„Vielleicht ist doch besser, wenn wir einfach ins Bett
gehen“, meinte ich langsam und genoss wie Desiderios Anspannung sich in
Enttäuschung wandelte.
So erhaben fühlte er sich die ganze Zeit? Es war wirklich zu
verlockend meine neu gewonnene Macht auszunutzen,
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