Vorhofflimmern
holte mich seine sanfte Stimme zurück
in die Realität.
„Erzählst du mir jetzt, was dich in der Vergangenheit so
schwer enttäuscht hat?“
„Okay.“
Nachdenklich zupfte ich am Saum meiner Jacke und suchte nach
den richtigen Anfangsworten. Mir fiel es auch nach so vielen Jahren schwer,
über den größten Fehler meines Lebens zu sprechen. Trotzdem musste Desiderio
diesen Teil meiner Vergangenheit kennenlernen, um mich und meine Entscheidungen
wirklich verstehen zu können. Ich atmete tief durch und begann anschließend
ruhig und überlegt zu erzählen.
„Von der Scheidung meiner Eltern weißt du ja bereits. Und
dass ich ein etwas schwieriges Kind war, habe ich auch schon erwähnt. So weit,
so gut. Richtig kompliziert wurde mein Leben erst, als ich 17 Jahre alt war.
Ich war auf dem Gymnasium, hatte viele Freunde und lebte nach dem Vorsatz –
erst das Vergnügen, dann die Arbeit. Tja, trotz meiner vielen Partys waren
meine Noten erstaunlich gut, so dass ich mit meiner Einstellung ziemlich gut
zurechtkam. Eines Tages traf ich auf ihn . Marek. Er war ein junger,
aufstrebender Künstler und stellte seine Werke im deutschen Museum aus, als wir
zufällig einen Tagesausflug mit der Schule dorthin unternahmen. Es war Liebe
auf den ersten Blick. Ich konnte mein Glück kaum fassen, als er meine Zuneigung
gleichermaßen erwiderte. Vom ersten Moment an war ich seine Muse und er umwarb mich,
wie eine Kostbarkeit. Obwohl wir uns nur an den Wochenende trafen, schwebte ich
auf Wolke Sieben und kannte in meinem Leben nichts anderes mehr, als ihn. Als
mir meine Mutter damals eröffnete, dass sie mit mir nach Hamburg ziehen wollte,
brach eine Welt für mich zusammen. Ich sollte ihn verlassen? Meine große Liebe?
Niemals. Hals über Kopf floh ich zu Marek nach München. Er versprach mir das
Blaue vom Himmel: Er würde für mich sorgen, für mich da sein, denn schließlich
war ich doch seine Muse! Ja, und ich glaubte alles. Schon ein paar Wochen
später nahm er mich mit nach Italien. Dort wollte er sich weiterbilden,
Inspiration suchen, neue Wege entdecken. Die erste Zeit war toll. Wir kannten
keine Sorgen, keine Probleme und lebten einfach so in den Tag hinein. Marek war
bereits ein bekannter Maler und verfügte schon damals über ein beachtliches
Wohlhaben.“
Ich hielt kurz inne und lachte bitter.
„Es dauerte lange, bis ich erkannte, wo Marek sich seine Inspiration
holte. Ich weiß nicht, wie oft er mich schon betrogen hatte, bis ich ihn eines
Tages sozusagen inflagranti erwischt habe. An diesem Tag zerbrach mein Herz in
tausend Scherben und er hatte nicht einmal den Anstand Reue zu zeigen. Er sei
Künstler und Freigeist, erklärte er, eine Seele wie ihn könne man nicht
einsperren und ich solle ihm seine Freiheit lassen, wenn ich weiterhin seine
Muse sein wolle. Nun, ich wollte natürlich nicht. Nur, dass ich inzwischen vor
einem riesigen Problem stand: Ich war zwar mittlerweile 18, doch ich befand
mich ohne einen Cent Geld mitten in den Bergen von Sizilien. Marek verweigerte
mir seine finanzielle Unterstützung zur Heimreise. Wenn ich sein Geld haben
wolle, dann müsse ich es mit ihm teilen. Aus purer Verzweiflung blieb ich
tatsächlich noch für ein paar Tage in seinem Haus und musste mitansehen, wie
seine Inspirationen in seinem Schlafzimmer ein und ausgingen. Irgendwann
hielt ich es nicht mehr aus, packte mein wenigen Sachen und schlug mich durch,
bis nach Palermo. Dort hatte ich ein paar Wochen zuvor ein sehr nettes Pärchen
kennengelernt, die mir bestimmt helfen würden. Natürlich hätte ich auch meine
Freunde zu Hause, oder meine Mutter anrufen können, doch dazu schämte ich mich
viel zu sehr. Alle hatten es mir damals gesagt. Sie hatten mir gesagt, dass ich
mir mit diesem Charmeur nur mein Leben kaputtmachen würde und ich hatte sie als
Neider abgetan. Gott, wie ich mich schämte, meine besten Freunde und vor allem
meine Mutter so sehr enttäuscht zu haben! Naja, das besagte Pärchen half mir
tatsächlich. Weil ich kein Geld von ihnen nehmen wollte, boten sie mir
kostenlose Unterkunft und verschafften mir einen Job als Kellnerin. Nach ein
paar Wochen hatte ich dann endlich genügend Geld, um mir ein Flugticket nach
Deutschland zu kaufen und nach Hause zu fahren. Da meine Mutter inzwischen nach
Hamburg gezogen war, stand ich schließlich mitten in der Nacht vor Veras Tür.
Natürlich nahm sie mich sofort herzlichst auf und unterstützte mich so gut sie
nur konnte, bis ich wieder Fuß in Wollbach gefasst hatte.
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