Vorkosigan 01 Die Quaddies von Cay Habitat
Passagieren für einen anderen Bestimmungsort ist der erste Halt für gewöhnlich die Orient-Station.«
»Die Orient-Station gehört nicht GalacTech, nicht wahr?«
»Nein, sie gehört der Regierung von Orient IV. Allerdings hat GalacTech ein gutes Viertel davon geleast.«
»Wie lange braucht man, um von Rodeo zur Orient-Station zu kommen?«
»Oh, gewöhnlich etwa eine Woche. Du wirst wahrscheinlich
dort schon recht bald haltmachen, und wenn auch nur, um zusätzliche Geräte und Nachschub aufzunehmen, wenn du zu deinem ersten Bauauftrag geschickt wirst.«
Der Junge wirkte jetzt umgänglicher; vielleicht dachte er über seine erste interstellare Reise nach. Das war besser. Leo entspannte sich leicht.
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»Ich freue mich darauf, Sir.«
»So ist’s recht. Wenn du dir nur in der Zwischenzeit nicht deinen Fuß… äh… deine Hand abschneidest, nicht wahr?«
Tony zog den Kopf ein und grinste. »Ich werde versuchen, das nicht zu tun, Sir.«
Und worum war es jetzt bei dem Ganzen gegangen? fragte sich Leo, während er beobachtete, wie Tony zur Tür hinaussegelte.
Gewiß dachte der Junge doch nicht daran, seinen eigenen Weg zu gehen? Tony hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wie monströs er außerhalb seines vertrauten Habitats wirken würde.
Wenn er sich doch nur etwas mehr öffnen würde…
Leo scheute vor dem Gedanken zurück, ihn offen zur Rede zu stellen. Alle Planetarier im Personal des Habitats schienen zu glauben, daß sie ein Anrecht auf die privaten Gedanken der Quaddies hatten. In den Unterkünften der Quaddies gab es nirgendwo eine Tür, die man abschließen konnte. Sie hatten soviel Privatsphäre wie Ameisen unter Glas.
Leo schüttelte die kritischen Gedanken ab, aber sein Unbehagen konnte er nicht abschütteln. Sein ganzes Leben lang hatte er sein Vertrauen in seine eigene technische Integrität gesetzt – wenn er diesem Stern folgte, dann würden seine Füße nicht straucheln.
Inzwischen war dies eine tief eingewurzelte Gewohnheit, er hatte diese technische Integrität fast automatisch in den Unterricht von Tonys Arbeitskolonne eingebracht. Und doch… diesmal schien das nicht ganz auszureichen. Als hätte er die Antwort auswendig gelernt, um dann zu entdecken, daß die Frage geändert worden war.
Aber was konnte man von ihm noch mehr verlangen? Was
konnte man von ihm noch mehr erwarten? Was konnte letztlich ein einzelner Mann tun?
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Ein Anfall vager Furcht ließ ihn blinzeln. Die scharf konturierten Sterne im Aussichtsfenster verschwammen, während der drohende Schatten des Dilemmas am Horizont seines Bewußtseins wie eine Wolke aufstieg. Mehr…
Er zitterte und drehte der Weite seinen Rücken zu. Sie konnte einen Mann verschlingen, gewiß.
Ti, der Kopilot des Frachtshuttles, hielt die Augen geschlossen.
Vielleicht war das bei Gelegenheiten wie dieser natürlich, dachte Silver, während sie sein Gesicht aus einer Entfernung von zehn Zentimetern studierte. Bei diesem Abstand konnten ihre Augen die stereoskopischen Bilder nicht mehr koordinieren, und so überlappte sein zwiefaches Gesicht sich selbst. Wenn sie nur richtig schielte, dann konnte sie ihn so aussehen lassen, als hätte er drei Augen. Männer waren ziemlich fremdartig. Aber das lag nicht an dem metallenen Kontakt, der in seine Stirn implantiert war, wie die beiden anderen in den Schläfen; er wirkte mehr wie ein Schmuck oder ein Rangabzeichen. Sie kniff abwechselnd eines der beiden Augen zu und erzielte damit den Effekt, daß sein Gesicht in ihrem Blickfeld vor-und zurückgeschoben wurde.
Ti öffnete die Augen einen Moment lang, und Silver trat schnell wieder in Aktion. Sie lächelte, schloß selbst die Augen halb und nahm den Rhythmus ihrer biegsamen Hüften wieder auf. »Uuuh«, murmelte sie, wie Van Atta sie gelehrt hatte. Laß mich ein Feedback hören, Schatz, hatte Van Atta gefordert, und so hatte sie eine Auswahl von Lauten gefunden, die ihm zu gefallen schienen. Sie funktionierten auch bei dem Piloten, wenn sie sie bei ihm einsetzte.
Tis Augen schlossen sich wieder fest, seine Lippen öffneten sich, sein Atem ging schneller, und Silvers Gesicht entspannte sich 61
wieder in nachdenklicher Ruhe. Sie war dankbar, daß sie nicht beobachtet wurde. Auf jeden Fall war Tis Blick für sie nicht so unbehaglich wie der von Mr. Van Atta, der immer nahezulegen schien, sie sollte es anders machen, oder intensiver, oder etwas ganz anderes.
Die Stirn des Piloten war feucht vom Schweiß, eine Locke seines braunen Haares
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