Vorkosigan 02 03 Cordelia's Ehre
von zu Hause.«
»Oh, pfff! Schmeißen Sie ihn wieder zurück.«
»0 nein. Wir haben Identifikationsdateien für alle ihre
Vermissten. Teil der Friedensvereinbarung, wissen Sie,
zusammen mit dem Gefangenenaustausch.«
337
»Wenn man bedenkt, was sie unseren Leuten angetan haben,
die gefangen waren, dann denke ich nicht, dass wir ihnen
irgendetwas schulden.«
Sie zuckte die Achseln.
Der barrayaranische Offizier war ein großer, breitschultriger Mann gewesen, ein Oberstleutnant, nach den Rangabzeichen an seinem Kragen zu schließen. Die MedTech behandelte ihn mit der gleichen Sorgfalt, die sie auf Leutnant Deleo verwendet hatte, und sogar noch mehr. Sie gab sich beträchtliche Mühe, ihn zu glätten und gerade zu strecken und das gefleckte Gesicht mit ihren Fingerspitzen so zu massieren, dass es wieder dem Gesicht eines Menschen glich, ein Vorgang, den Ferrell mit zunehmendem Widerwillen beobachtete.
»Ich wünschte, seine Lippen wären nicht ganz so sehr
geschürzt«, bemerkte sie während ihrer Arbeit. »Das gibt ihm nach meiner Vorstellung ein uncharakteristisch mürrisches Aussehen. Ich denke, er muss ziemlich gut ausgesehen haben.«
Einer der Gegenstände in seinen Taschen war ein kleines
Medaillon. Es enthielt eine winzige Glasperle, die mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. Auf der Innenseite des goldenen Deckels waren über und über Schriftzeichen in den kunstvollen Schnörkeln des barrayaranischen Alphabets eingraviert.
»Was ist das?«, fragte Ferrell neugierig.
Sie hielt das Medaillon nachdenklich ans Licht. »Eine Art
Talisman oder Andenken. Ich habe in den letzten drei Monaten eine Menge über die Barrayaraner gelernt. Wenn man zehn von ihnen auf den Kopf stellt, dann fällt bei neun von ihnen eine Art Talisman oder Amulett oder Medaillon oder etwas anderes in der Art aus den Taschen. Die hohen Offiziere sind genauso schlimm wie die Unteroffiziere und die Mannschaften.«
»Törichter Aberglaube.«
338
»Ich bin mir nicht sicher, ob es Aberglaube ist oder nur Sitte.
Wir haben einmal einen verletzten Gefangenen behandelt – er behauptete, es sei nur eine Sitte. Die Leute gäben sie den Soldaten als Geschenke, und niemand glaube wirklich daran.
Aber als wir ihm seinen Talisman wegnahmen, um ihn für die Operation zu entkleiden, da versuchte er, mit uns darum zu raufen. Es waren drei unserer Leute nötig, um ihn für die Anästhesie niederzuhalten. Ich hielt es für eine ziemlich bemerkenswerte Leistung bei einem Mann, dem die Füße weggerissen worden waren. Er weinte… Natürlich stand er
unter Schock.«
Ferrell ließ das Medaillon am Ende der kurzen Kette
baumeln; gegen seinen Willen faszinierte es ihn. Daneben hing ein Pendant, eine Haarlocke, die in einen Plastikanhänger eingebettet war.
»Eine Art von heiligem Wasser, nicht wahr?«, forschte er.
»Fast. Es ist ein ziemlich häufiger Typ. Man nennt es
Muttertränen-Talisman. Mal sehen, ob ich es entziffern kann –er hat es schon eine Weile getragen, scheint es, Der Aufschrift nach – ich glaube, das hier heißt ›Fähnrich‹ und das ist das Datum – muss es ihm aus Anlass seiner Ernennung zum Offizier geschenkt worden sein.«
»Das sind doch nicht wirklich Tränen seiner Mutter, oder?«
»0 doch. Deshalb hat man ja geglaubt, dass es als Schutz
funktioniert.«
»Scheint nicht sehr wirkungsvoll zu sein.«
»Nein, nun ja …Nein.«
Ferrell schnaubte ironisch. »Ich hasse diese Kerle – aber ich glaube, seine Mutter tut mir irgendwie Leid.«
Boni nahm die Kette und die Anhänger wieder an sich, hielt die in Plastik gefasste Locke ans Licht und las die Aufschrift 339
auf dem Aufhänger. »Nein, Überhaupt nicht. Sie ist eine
glückliche Frau.«
»Wieso?«
»Das ist ihre Todeslocke. Hier steht, dass sie vor drei Jahren gestorben ist.«
»Hält man die Locke auch für Glück bringend?«
»Nein, nicht unbedingt. Nur ein Erinnerungsstück, soweit ich weiß. Ein schönes, wirklich. Der hässlichste Talisman, auf den ich je gestoßen bin, und auch der ungewöhnlichste, war ein kleiner Lederbeutel, den ein Kerl um den Hals hängen hatte. Er war mit Erde und Blättern gefüllt, und mit etwas, das ich zuerst für das Skelett eines kleinen, froschartigen Tieres hielt, etwa zehn Zentimeter lang. Aber als ich es genauer anschaute, stellte sich heraus, dass es das Skelett eines menschlichen Fötus war.
Sehr eigenartig. Ich nehme an, das war eine Art schwarzer
Magie. Es erschien seltsam, so etwas bei einem
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