Vorkosigan 09 Waffenbrüder
normales Gesicht bei, daß man es schwer erkennen konnte. Vielleicht befürchtete er, seine Gesichtsbemalung zu zerstören, wenn er eine Miene verzog.
Ein trällerndes Gelächter, lieblich wie Glockenklang, lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die andere Seite des Brunnens. Dort lehnte Ivan Vorpatril am verchromten Geländer, den dunkelhaarigen Kopf einer süßen Blondine zugeneigt. Sie trug etwas in Lachsrosa und Silber, das selbst dann zu wogen schien, wenn sie stillstand, wie jetzt gerade. Kunstvoll kunstloses Haar fiel in einer Kaskade über eine weiße Schulter. Ihre Fingernägel blitzten silbrig-rosa, während sie angeregt gestikulierte.
Tabor zischte leise, verbeugte sich höflich über der Hand der Bürgermeistersgattin und ging weiter. Dann sah ihn Miles, wie er sich auf der anderen Seite an Ivan heranpirschte – aber irgendwie hatte er das Gefühl, daß Tabor diesmal nicht hinter militärischen Geheimnissen her war. Kein Wunder, daß er an Miles nur mäßig interessiert erschienen war. Aber Tabors Annäherung an die
Blondine wurde von einem Zeichen seines Botschafters unterbrochen, und er folgte notgedrungen den Würdenträgern nach draußen.
»So ein netter junger Mann, dieser Lord Vorpatril«, gurrte
Miles' Dame. »Wir mögen ihn sehr. Die Gemahlin des Botschafters sagte mir, Sie beide seien miteinander verwandt?« Sie reckte ihm erwartungsvoll den Kopf entgegen.
»So etwas wie Cousins«, erklärte Miles. »Ach – wer ist eigentlich die junge Dame da neben ihm?«
Die Bürgermeistersgattin lächelte stolz. »Das ist meine Tochter, Sylveth.«
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Tochter, natürlich. Der Botschafter und seine Gattin hatten das feine barrayaranische Unterscheidungsvermögen für die Nuancen gesellschaftlicher Ränge. Miles, der der älteren Linie der Familie entstammte und überdies der Sohn des Premierministers Graf
Vorkosigan war, stand gesellschaftlich (wenn auch nicht militärisch) höher als Ivan. Was, o Gott, bedeutete, daß sein Schicksal entschieden war. Er würde für immer an den Matronen der VIPs hängenbleiben, während Ivan alle Töchter bekam …
»Ein hübsches Paar«, sagte Miles mit belegter Stimme.
»Nicht wahr? Welche Cousins sind Sie denn, Lord Vorkosigan?«
»Wie? Ach so, Ivan und ich, ja. Unsere Großmütter waren
Schwestern. Meine Großmutter war das älteste Kind von Prinz Xav Vorbarra, Ivans Großmutter war sein jüngstes.«
»Prinzessinnen? Wie romantisch!«
Miles überlegte, ob er detailliert erzählen sollte, wie seine Großmutter, ihr Bruder und die meisten ihrer Kinder während der Terrorherrschaft Kaisers Yuri des Wahnsinnigen umgebracht
worden waren. Nein, die Gattin des Bürgermeisters würde es
vielleicht bloß für eine prickelnde, extravagante – oder noch schlimmer: romantische – Geschichte halten. Er bezweifelte, daß sie die wirkliche, gewalttätige Torheit von Yuris Geschichte mit all ihren Konsequenzen erfassen würde, die in alle Richtungen gingen und die Geschichte von Barrayar bis auf den heutigen Tag beeinflußten.
»Besitzt Lord Vorpatril eine Burg?«, fragte sie schelmisch.
»Äh … nein. Seine Mutter, meine Tante Vorpatril«, ein gesellschaftlicher Barracuda, der Sie bei lebendigem Leibe verspeisen würde, »hat eine sehr hübsche Wohnung in der Hauptstadt Vorbarr Sultana.« Miles zögerte. »Wir hatten einmal eine Burg.
Aber sie wurde am Ende des Zeitalters der Isolation niedergebrannt.«
»Eine Burg in Ruinen. Das ist fast genauso gut.«
»Außerordentlich pittoresk«, versicherte er ihr.
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Jemand hatte einen kleinen Teller mit den Überresten seiner Hors d'ceuvres auf dem Geländer am Brunnen zurückgelassen.
Miles nahm das Brötchen und begann Brösel für die Goldfische abzubrechen. Sie kamen angeschwommen und schnappten mit
einem kurzen Glucksen nach den Krümeln.
Einer der Fische weigerte sich, wegen dem Futter hochzukommen und lauerte in der Tiefe. Wie interessant, ein Goldfisch, der nicht fraß – hier war also eine Lösung von Ivans Problem mit der Fischinventur. Vielleicht war der eigensinnige Fisch eine teuflische, cetagandanische Konstruktion, deren goldene Schuppen wie Gold glitzerten, weil sie aus Gold waren.
Er könnte sich wie eine Katze darauf stürzen, den Fisch herausholen und mit dem Fuß daraufstampfen. Metall würde knirschen, Elektrik zischen, dann würde er das Ding mit einem triumphalen Schrei hochhalten: »Ha! Mit meiner schnellen Auffassungsgabe und meinen Reflexen habe ich den Spion in Ihrer Mitte entdeckt!«
Aber wenn
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