Vorkosigan 10 Grenzen der Unendlichkeit
Miles.
Das Gewispere am Rand der Veranda verstummte abrupt. Sogar das Geraschel hörte auf.
»Komm her«, sagte Miles.
Während im Hintergrund entsetztes Flüstern und nervöses Gekicher zu hören war, kam Karals mittlerer Sohn mißtrauisch auf die Veranda gelatscht.
»Ihr drei«, Miles’ Zeigefinger erwischte sie mitten in der Flucht,
»wartet dort.« Zur Unterstützung blickte Pym sie finster an, und 63
Zeds Freunde blieben wie gelähmt stehen, mit weit aufgerissenen Augen, die Köpfe in Höhe des Bodens der Veranda aufgereiht, als steckten sie auf einer altertümlichen Zinne, als Warnung für ähnliche Missetäter.
»Was hast du gerade zu deinen Freunden gesagt, Zed?«, fragte Miles ruhig. »Wiederhole es.«
Zed leckte die Lippen. »Ich hab’ g’rad g’sagt, Sie sind ‘kommen, um Lern Csurik zu töten, Mylord.« Zed überlegte jetzt offensichtlich, ob Miles’ mörderische Absichten sich auch auf unartige und respektlose Jungen erstreckten.
»Das ist nicht wahr, Zed. Das ist eine gefährliche Lüge.«
Zed blickte verwirrt drein. »Aber Pa – hat es gesagt.«
»Wahr ist, daß ich gekommen bin, um den zu fangen, der Lern Csuriks kleine Tochter umgebracht hat. Das kann Lern sein. Aber vielleicht auch nicht. Verstehst du den Unterschied?«
»Aber Harra hat gesagt, daß Lern es getan hat, und sie sollte es doch wissen, wo er doch ihr Mann ist und so.«
»Irgend jemand hat dem Baby den Hals gebrochen. Harra denkt, daß es Lern war, aber sie hat nicht gesehen, wie es geschehen ist.
Was ihr, du und deine Freunde hier, verstehen müßt, ist, daß ich keinen Fehler machen werde. Ich kann nicht die falsche Person verurteilen. Meine eigenen Wahrheitsdrogen lassen das nicht zu.
Lern Csurik muß nur hierher kommen und mir die Wahrheit sagen, um sich selbst zu entlasten, wenn er es nicht getan hat. Aber falls er es getan hat: Was soll ich mit einem Mann machen, der ein Baby umgebracht hat, Zed?«
Zed scharrte verlegen mit den Füßen. »Na ja, es war ja nur ein Mutie …« Dann schloß er den Mund und errötete. Er vermied
Miles’ Blick.
Es war vielleicht ein bißchen viel, einen zwölfjährigen Jungen zu bitten, sich für ein Baby zu interessieren, noch dazu für ein Mutie … nein, verdammt. Es war nicht zu viel. Aber wie konnte er diese abweisende Fassade durchdringen? Und wenn Miles nicht einmal einen mürrischen Zwölfjährigen überzeugen konnte, wie 64
sollte er dann einen ganzen Bezirk von Erwachsenen magisch verwandeln? Ein Anfall von Verzweiflung ließ ihn plötzlich in Wut geraten. Diese Leute hier waren so verdammt unmöglich. Er zügelte seine Empörung.
»Dein Vater hat zwanzig Jahre Dienst hinter sich, Zed. Bist du stolz, daß er dem Kaiser gedient hat?«
»Ja, Mylord.« Zeds Blicke suchten nach einer Fluchtmöglichkeit aus der Falle dieser schrecklichen Erwachsenen.
Miles bemühte sich weiter. »Nun, diese Sitte – das Umbringen von Muties – ist eine Schande für den Kaiser, wenn er in der Galaxis Barrayar repräsentiert. Ich bin schon dort gewesen. Ich weiß es. Sie nennen uns alle Wilde, wegen der Verbrechen einiger weniger. Sie sind eine Schande für meinen Vater, den Grafen, im Angesicht seiner Amtskollegen, und sie sind eine Schande für das Silvy-Tal im Bezirk. Ein Soldat erwirbt Ehre, indem er einen bewaffneten Feind tötet, nicht ein Baby. Diese Sache rührt an meine Ehre als Vorkosigan, Zed. Außerdem«, Miles verzog die Lippen zu einem unfrohen Grinsen und beugte sich eindringlich auf seinem Stuhl vor – Zed zuckte so weit zurück, wie er wagte –, »ihr werdet überhaupt überrascht sein, was nur ein Mutie tun kann. Das habe ich auf dem Grab meines Großvaters geschworen.«
Zed blickt mehr unterdrückt als aufgeklärt drein und stand fast geduckt da. Miles lehnte sich wieder auf seinem Stuhl zurück und entließ ihn mit einer müden Handbewegung. »Geh spielen, mein Junge.«
Dazu mußte Zed nicht gedrängt werden. Er und seine Kameraden flitzten um die Ecke des Hauses, als hätten Sprungfedern sie losgeschnellt.
Miles trommelte mit den Fingern auf der Armlehne seines
Stuhles und runzelte die Stirn. Weder Pym noch Dea wagten das Schweigen zu brechen.
»Diese Leute hier im Gebirge sind unwissend, Mylord«, sagte sich Pym nach einer Weile.
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»Diese Leute hier im Gebirge sind meine Leute, Pym. Ihre Unwissenheit ist – eine Schande für mein Haus.« Miles brütete vor sich hin. Wie war er in dieses ganze Durcheinander geraten? Er hatte es nicht angerichtet.
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