Vorkosigan 12 Viren des Vergessens
zu reden, bis er sich in Illyans Krankenzimmer geredet hätte. Nein, keine sanften Worte – Haroche zog die rauhbeinige Methode vor, so sehr er auch seine eigene Redeweise beflissen dem Standard der Oberklasse von Vorbarr Sultana anglich. »Haroche! Reden Sie mit mir! Das wird allmählich hanebüchen! Was, zum Teufel, geht da drinnen vor, daß Ihnen die Haare am Allerwertesten so zu Berge stehen? Ich versuche zu helfen, verdammt noch mal!« Einen Moment lang schienen die Falten aus Haroches Stirn zu verschwinden, doch dann verhärtete sich sein Gesicht aufs neue.
»Vorkosigan, Sie haben hier nichts zu suchen. Bitte entfernen Sie sich.« »Nein.« »Dann werde ich Sie entfernen lassen!« »Dann werde ich wiederkommen.« Haroche preßte die Lippen zusammen. »Vermutlich kann ich Sie nicht erschießen lassen, wenn ich in Betracht ziehe, wer Ihr Vater ist. Und außerdem ist es ja bekannt, daß Sie … mentale Probleme haben. Aber wenn Sie uns hier weiter auf die Nerven fallen, dann lasse ich Sie vielleicht verhaften.« »Aufgrund welcher Beschuldigung?« »Unbefugter Aufenthalt in einem Sperrbereich allein ist schon ein Jahr Haft wert. Vermutlich könnte ich auch noch andere Dinge anbringen. Ziemlich sicher Widerstand gegen die Staatsgewalt. Aber ich würde nicht zögern, Sie betäuben zu lassen.« Das würde er nicht wagen. »Wie oft?« »Wie oft wollen Sie es notwendig machen?« »Sie können selbst barfuß nicht weiter als bis zweiundzwanzig zählen, Haroche«, sagte Miles mit zusammengebissenen Zähnen.
Anzudeuten, daß jemand zusätzliche Finger oder Zehen hatte, war auf diesem von Mutationen heimgesuchten Planeten eine ernste Beleidigung. Martin wie auch der lauschende Korporal beobachteten mit zunehmender Beunruhigung, wie die Temperatur dieses Wortwechsels anstieg.
Haroches Gesicht lief rot an. »Jetzt reicht’s! Illyan war bescheuert, Sie bloß zu entlassen – ich hätte Sie vors Militärgericht gebracht. Hauen Sie aus meinem Gebäude ab!« »Erst wenn ich Illyan besucht habe.« Haroche unterbrach die Verbindung.
Etwa eine Minute später kamen zwei bewaffnete Unteroffiziere um die Ecke und marschierten auf Miles zu, der gerade dem Korporal zusetzte, er solle es noch einmal bei Haroches Sekretär versuchen. Verdammt, er würde es doch nicht wagen – oder …?
Er würde. Ohne Vorrede nahm jede Wache einen von Miles’ Armen und begann ihn in Richtung Tür zu drängen. Dabei war es ihnen gleich, ob seine Zehenspitzen den Boden berührten oder nicht. Martin folgte ihnen wie ein aufgeregter Welpe, der nicht wußte, ob er bellen oder beißen sollte. Durch die Tür. Durch das äußere Tor. Dann setzten sie ihn auf dem Gehsteig vor der Umfassungsmauer ab und stellten ihn gerade noch auf die Beine.
Der eine Unteroffizier sagte zu den Torwachen: »General Haroche hat gerade den direkten Befehl gegeben, daß dieser Mann betäubt werden soll, falls er noch einmal versucht, das Gebäude zu betreten.« »Jawohl, Sir.« Der ranghöhere Wächter salutierte und starrte Miles unbehaglich an. Mit knallrotem Gesicht würgte Miles nach Atem gegen die Erniedrigung und Wut, die seine Brust einschnürte. Die Unteroffiziere drehten sich auf dem Absatz um und marschierten wieder ins Gebäude.
Auf der anderen Seite der Straße war ein ziemlich kahler schmaler Park mit Bänken, von denen aus man die berüchtigte Architektur des KBS-Hauptquartiers betrachten konnte. Im zunehmenden kalten Nebel standen sie jetzt leer. Zitternd ging Miles zu einer hinüber, setzte sich und starrte auf das Gebäude, das ihm zum zweiten Mal eine Niederlage zugefügt hatte. Martin folgte ihm unsicher, setzte sich vorsichtig ans andere Ende und wartete auf Befehle. Er wagte nicht zu sprechen.
Wilde Visionen einer Kommandoaktion nach Art verdeckter Operationen a la Naismith schwirrten Miles durch den Kopf. Er stellte sich vor, wie er als Anführer grauuniformierter Söldner im Stil der Ninja über die Mauer des Hauptquartiers stürmte … Blödsinn. Er würde sich dabei wirklich niederschießen lassen, nicht wahr? Er schnaubte verächtlich. Illyan war ein Gefangener, der sich außerhalb Naismiths Reichweite befand.
Wie kann Haroche es wagen, mich zu bedrohen, hatte Miles innerlich getobt. Zum Teufel, warum sollte Haroche es nicht wagen? Ganz verrückt danach, nur nach seinen eigenen vermeintlichen Verdiensten beurteilt zu werden, hatte Miles die letzten dreizehn Jahre damit zugebracht, Lord Vorkosigan seines Kerns zu berauben. Er hatte gewollt, als er
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