Vorkosigan 12 Viren des Vergessens
wahr, ich kann es erklären, ich kann …« Die Kanten und Oberflächen der Gegenstände in dem Raum, das Komkonsolenpult, die Stühle, Illyans Gesicht wirkten plötzlich schärfer als zuvor, als seien sie von einem höheren Maß an Wirklichkeit durchtränkt. Ein Nimbus aus grünem Feuer barst in farbiges Konfetti, das über ihn herabwirbelte. Nein …!
Als er wieder zu sich kam, lag er flach auf dem Rücken auf Illyans Teppich. Über ihm schwebte Illyans blutleeres Gesicht, angespannt und besorgt. Etwas steckte in Miles’ Mund – er drehte den Kopf und spie einen Schreibstift aus, einen Lichtgriffel von Illyans Pult. Sein Kragen stand offen – seine Hand langte danach und berührte ihn –, doch seine Silberaugen waren noch da.
Er blieb liegen, nur einen Moment lang.
»Tja«, sagte er schließlich mit dünner Stimme. »Ich glaube, das war eine hinlängliche Vorstellung. Wie lange?« »Etwa«, Illyan warf einen Blick auf sein Chrono, »vier Minuten.« »Das ist ungefähr Standard.« »Bleib still liegen. Ich rufe einen Sanitäter.« »Ich brauche keinen gottverdammten Sanitäter. Ich kann gehen.« Miles versuchte aufzustehen. Ein Bein knickte ein, und er ging wieder zu Boden, mit dem Gesicht voll auf den Teppich.
Das Gesicht war klebrig – offensichtlich war er beim ersten Mal auf den Mund aufgetroffen, denn die Lippen schwollen an, und jetzt auf die Nase: sie blutete. Illyan reichte ihm ein Taschentuch.
Miles drückte es an sein Gesicht. Nachdem etwa eine Minute vergangen war, duldete er es, daß Illyan ihm wieder auf den Stuhl half.
Illyan saß halb auf dem Rand seines Pultes und beobachtete Miles. Beobachtete ihn wie immer. »Du hast es gewußt«, sagte Illyan. »Und du hast gelogen. Hast mich angelogen. Schriftlich.
Mit diesem verdammten gefälschten Brief hast du alles … verdorben. Ich hätte eher meinem Gedächtnischip mißtraut als dir.
Warum, Miles? Warst du so sehr in Panik geraten?« Schmerz sickerte in diese ruhige Stimme wie Blut in eine Quetschung.
Ja, ich war so sehr in Panik geraten. Ich wollte Naismith nicht verlieren. Ich wollte nicht … alles verlieren. »Jetzt spielt es keine Rolle mehr.« Er fummelte an seinem Kragen herum. Eine Nadel riß den grünen Stoff auf, als er sie mit zitternden Händen abnahm. Blind warf er die Nadeln Illyan zu. »Da. Sie haben gewonnen.« Illyan schloß die Hände über den silbernen Horusaugen. »Gott bewahre mich«, sagte er leise, »vor noch so einem Sieg.« »Schön, gut, geben Sie mir das Lese-Pad. Geben Sie mir den Retina-Scan. Bringen wir es, verdammt noch mal, hinter uns. Ich habe den KBS satt, und ich habe es satt, mich vom KBS wie Dreck behandeln zu lassen. Schluß damit! Gut.« Das Zittern hörte nicht auf und strahlte in heißen Wellen von seiner Magengrube aus. Er hatte schreckliche Angst davor, vor Illyan in Tränen auszubrechen.
Illyan lehnte sich zurück und drehte seine geschlossene Hand nach innen. »Laß dir ein paar Minuten Zeit, um dich zu fassen.
Laß dir soviel Zeit, wie du brauchst. Dann geh in meine Toilette und wasch dir das Gesicht. Ich mache meine Tür erst wieder auf, wenn du wieder so beieinander bist, daß du hinausgehen kannst.« Seltsames Mitleid, Illyan. Sie bringen mich so höflich um. Doch er nickte und stolperte in Illyans kleinen Waschraum. Illyan folgte ihm bis zur Tür, dann kam er offensichtlich zu dem Schluß, daß Miles diesmal auf den Beinen bleiben würde, und ließ ihn allein. Das Gesicht im Spiegel war wirklich nicht vorzeigbar, blutig und mitgenommen. Es ähnelte sehr dem Gesicht, das ihm damals aus dem Spiegel entgegengeblickt hatte, als Sergeantin Beatrice umgekommen war, außer daß es jetzt fast hundert Jahre älter aussah. Illyan wird über einen großen Namen keine Schande bringen. Und auch ich sollte dem Namen Vorkosigan keine Schande machen. Er wusch sich sorgfältig, doch es gelang ihm nicht, alle Blutflecken aus seinem aufgerissenen Kragen und dem cremefarbenen Hemd zu entfernen.
Er kehrte in Illyans Büro zurück, setzte sich folgsam hin und ließ sich von Illyan das Lese-Pad für den Handflächenabdruck reichen, den Retina-Scan abnehmen und seine kurzen, formellen Worte des Abschiedsgesuchs aufzeichnen. »In Ordnung. Lassen Sie mich hinaus«, sagte er dann ruhig.
»Miles, du zitterst noch.« »Ich werde noch eine Weile zittern. Aber das vergeht. Lassen Sie mich hinaus, bitte!« »Ich rufe einen Wagen. Und ich werde dich zu ihm begleiten.
Du solltest nicht allein sein.« O doch, das sollte
Weitere Kostenlose Bücher