Vorkosigan 13 Komarr
völlig frei von gesellschaftlichen Hemmungen? Ja, das sind Sie. Es liegt nicht am KBS-Training. Sie sind von Natur aus so. Kein Wunder, dass Sie so gute Arbeit für den Sicherheitsdienst geleistet haben.«
War das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung? Er wusste es nicht genau. Gut, schlecht, gut-schlecht-gut…?
Er stand auf, lächelte, gab den Gedanken auf, sie nach dem Besuch beim Erbschaftsanwalt zu fragen, sagte ihr höflich gute Nacht und floh in Schande.
450
17
Am nächsten Morgen machte sich
Ekaterin früh auf den Weg, um ihre Tante abzuholen, die von Barrayar her eintreffen sollte. Die Fähre von Komarr zur Wurmlochsprungstation verließ den Orbit noch vor 12
Uhr Mittag Solstice-Zeit. Mit einem zufriedenen, schuldbewussten Seufzer ließ sich Ekaterin in ihrer privaten Schlafkabine an Bord der Fähre nieder.
Es sah Onkel Vorthys ähnlich, dass er ihr diesen
Komfort verschafft hatte; er machte keine Halbheiten.
Keine künstlichen Engpässe, konnte sie ihn fast begeistert dröhnen hören, obwohl er üblicherweise diesen Slogan in Bezug auf Desserts vortrug. Was spielte es also für eine Rolle, dass sie, in der Mitte der Kabine stehend, beide Wände berühren konnte. Sie war froh, dass sie nicht Schulter an Schulter mit den Massen in der Economy-Klasse saß, wie sie es bei ihrem ersten Flug getan hatte, selbst wenn es diesmal nur ein achtstündiger Flug vom komarranischen Orbit zum Dock der Sprungstation war.
Seinerzeit hatte sie auf dem Höhepunkt eines Siebentageflugs von Barrayar zwischen Tien und Nikki gesessen und sie hätte jetzt gar nicht zu sagen gewusst, wer von ihnen dreien am müdesten, abgespanntesten und übellaunigsten gewesen war.
Hätte sie Veniers Antrag angenommen, dann würde sie nicht einer Wiederholung jener ermüdenden Reise entgegensehen, ein Punkt zu seinen Gunsten, auf den Vennie 451
allerdings gar nicht hatte kommen können. Doch sei dem, wie ihm wolle. Sie dachte an sein unerwartetes Angebot am Vorabend in der Küche und verzog den Mund, als sie sich an ihre Verlegenheit, Amüsiertheit und an einen seltsamen Anflug von Zorn erinnerte. Wie war Venier überhaupt auf die Idee gekommen, sie sei verfügbar? Sie dachte, sie hätte aus Achtsamkeit auf Tiens irrationale Eifersucht schon längst jedes ermutigende Signal aus ihrem Verhalten getilgt. Oder wirkte sie wirklich so bemitleidenswert, dass selbst eine so bescheidene Seele wie Vennie sich als ihren Retter vorstellen konnte? Falls dies der Fall war, so war es sicher nicht seine Schuld. Eigentlich waren ihr weder Veniers noch Vorkosigans begeisterte Pläne für ihre zukünftige Ausbildung und berufliche Anstellung unangenehm, genau genommen entsprachen sie ihren eigenen Ambitionen, und doch … gaben beide zu verstehen: Sie können eine reale Person werden, doch nur, wenn Sie unser Spiel spielen.
Warum kann ich nicht dort real werden, wo ich bin?
Hol’s der Teufel, sie würde diesem Durcheinander von Emotionen nicht gestatten, ihr kostbares Stück Alleinsein zu verderben. Sie holte ihr Lesegerät aus ihrem Handgepäck, schob die großzügig ausgegebenen Kissen zurecht und streckte sich auf dem Bett aus. In einem Augenblick wie diesem stellte sich ihr wirklich die Frage, warum Einzelhaft als derart strenge Strafe betrachtet wurde. Du meine Güte, niemand konnte einen stören. Sie zappelte genießerisch mit den Zehen.
Schuldig fühlte sie sich wegen Nikki, den sie ohne
Bedenken bei einem seiner Schulfreunde beziehungsweise 452
dessen Eltern zurückgelassen hatte, vorsorglich, damit er keinen Unterricht versäumte. Wenn Ekaterin, wie es ihr manchmal vorkam, den ganzen Tag wirklich nichts von Wert tat, warum musste sie dann so viele Menschen
belästigen, dass sie ihre Pflichten übernahmen, wenn sie einmal fortging? Da passte doch etwas nicht zusammen.
Madame Vortorren, Gattin eines Adjutanten des für
Serifosa zuständigen Repräsentanten des Kaiserlichen Beraters, hatte sich herzlich gern bereit gezeigt, der kürzlich Verwitweten auszuhelfen. Und Nikki belastete die Ressourcen von dessen Haushalt nur wenig – Madame
Vortorren hatte vier eigene Kinder, und es gelang ihr, sie zu ernähren, zu kleiden und zu erziehen, und das direkt in einem allgemeinen Chaos, welches ihre Aura wohlwollender Geistesabwesenheit nie zu verletzen schien. Ihre Kinder hatten früh gelernt, selbstsicher zu sein, und war das so schlimm? Nikkis Bitte, Ekaterin begleiten zu dürfen, war mit einem Hinweis darauf abgeschlagen worden, dass
Weitere Kostenlose Bücher