Vorkosigan 14 16 17 Der Botschafter
momentan schwache Nerven hast.«
Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Es scheint mir, wir haben hier zwei ebenbürtige juristische Präzedenzfälle, die miteinander um den Vorrang kämpfen. Ein Graf wählt seinen eigenen Nachfolger, und zwar mit der Zustimmung des Rates durch dessen billigendes Votum. So ist Lord Midnight in den Rat gekommen.«
René lächelte gequält. »Wenn ein Pferdearsch Graf sein kann, warum dann nicht das ganze Pferd?«
»Ich glaube, das war tatsächlich eines der Argumente
des fünften Grafen Vortala. Ich frage mich, ob es in den Archiven noch Protokolle jener Sitzungen gibt. Wenn ja, dann muss ich sie mal durchlesen. Auf jeden Fall wurde durch Midnight klar festgelegt, dass eine direkte Blutsverwandtschaft – obwohl üblich – nicht erforderlich war. Und selbst wenn der Fall Midnight abgewiesen wird, so gibt es jedenfalls Dutzende anderer, weniger denkwürdiger Präzedenzfälle dieser Richtung. Die Entscheidung des Grafen zählt vor dem Blut des Grafen, es sei denn, der Graf hat es unterlassen, eine Entscheidung zu treffen. Erst dann kommt das männliche Erstgeburtsrecht ins Spiel. Dein Großvater wurde doch als Erbe bestätigt zu Lebzeiten des… des Ehemanns seiner Mutter, nicht wahr?« Miles war als Erbe seines Vaters während der Regentschaft
bestätigt worden, als sein Vater sich auf dem Höhepunkt seiner Macht befunden hatte und diesen Beschluss durch den Rat boxen konnte.
»Ja, aber in betrügerischer Weise, Sigurs Klage zufolge.
Und ein betrügerisches Ergebnis ist kein Ergebnis.«
»Ist es möglich, dass der alte Herr es gewusst hat? Und
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falls er es gewusst hat, kann man es irgendwie beweisen?
Denn wenn er wusste, dass dein Großvater nicht sein Sohn war, dann war seine Bestätigung legal, und Sigurs Klage würde sich in Rauch auflösen.«
»Falls es der sechste Graf gewusst hat, so konnten wir bisher zumindest noch kein Schnipsel von Beweisen finden. Und wir haben das Familienarchiv schon seit Wochen auf den Kopf gestellt. Ich glaube nicht, dass er es gewusst haben könnte, sonst hätte er bestimmt den Jungen umgebracht. Und auch die Mutter des Jungen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher. Die Zeit der Besatzung war eine seltsame Zeit. Ich denke daran, wie der Bastardkrieg sich in der Dendarii-Region abgespielt hat.«
Miles stieß den Atem aus. »Gewöhnliche Cetagandaner—
Bankerte, von denen man wusste, wurden normalerweise
abgetrieben oder so bald wie möglich getötet. Gelegentlich trieben die Guerillakämpfer ein grässliches Spiel, indem sie die kleinen Leichen so aussetzten, dass die Besatzungssoldaten sie fanden. Das jagte für gewöhnlich der Masse der Cetagandaner einen höllischen Schrecken ein. Da war erstens ihre normale menschliche Reaktion, und zweitens erkannten selbst diejenigen, die schon so brutalisiert waren, dass ihnen das nichts mehr ausmachte: Überall, wo wir auf ein totes Baby stießen, hätten wir ebenso gut auf eine Bombe stoßen können.«
René schnitt eine Grimasse des Ekels, und Miles
erkannte zu spät, dass das schauerliche historische Beispiel für seinen Gastgeber vielleicht eine neue persönliche Brisanz bekommen hatte. »Die Cetagandaner«, fuhr er schnell fort, »waren nicht die Einzigen, die etwas gegen
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dieses Spiel hatten. Einige Barrayaraner hassten es
ebenfalls und betrachteten es als Makel auf unserer Ehre –
Prinz Xav zum Beispiel. Ich weiß, dass er sich mit meinem Großvater vehement deswegen stritt. Dein Ur… – der sechste Graf könnte durchaus mit Xav einer Meinung gewesen sein, und das, was er für deinen Großvater tat, war vielleicht eine Art stiller Antwort.«
René legte den Kopfschief. Er wirkte beeindruckt.
»Daran habe ich noch nicht gedacht. Ich glaube, er war ein Freund vom alten Xav. Aber es gibt immer noch keinen Beweis. Wer weiß, was ein toter Mann wusste, worüber er aber nie sprach?«
»Wenn du keine Beweise hast, dann hat auch Sigur
keine.«
Renés Gesicht erhellte sich etwas. »Das stimmt.«
Miles blickte wieder auf das prächtige Panorama der
Stadtlandschaft im Flusstal. Ein paar kleine Boote
tuckerten den sich verengenden Strom hinauf und hinab. In früheren Epochen war Vorbarr Sultana so weit landeinwärts gelegen, wie der Schiffsverkehr vom Meer her gelangen konnte, da die hiesigen Stromschnellen und Wasserfälle einen weiteren kommerziellen Lastverkehr blockierten. Seit dem Ende des Zeitalters der Isolation waren der Damm und die Schleusen direkt oberhalb der
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