Vorkosigan 16 Geschenke zum Winterfest
die Professora wieder in den Flur herabkam.
Roic neigte respektvoll den Kopf. »Ist sie krank, Madame?«
Die müde wirkende Frau schürzte die Lippen und atmete tief aus. »Sicherlich war sie es letzte Nacht. Schreckliche Kopfschmerzen, so schlimm, dass sie weinte und sich fast erbrach. Aber heute Morgen dachte sie, es gehe ihr viel besser. Oder sie sagte zumindest, es gehe ihr besser. Sie wollte, dass es ihr besser ginge. Vielleicht versuchte sie das zu sehr.«
Roic spähte besorgt die Treppe hinauf. »Wollte sie ihn sehen?«
Die Spannung in ihrem Gesicht ließ etwas nach. »Ja,«
»Kommt dann alles in Ordnung?«
»Jetzt meine ich, ja.« Ihre Lippen suchten ein Lächeln.
»Miles sagt jedenfalls, Sie sollen heimfahren. Er denkt, dass er eine Weile hier bleibt, und er wird anrufen, wenn er etwas braucht.«
»Jawohl, Madame.« Roic erhob sich, salutierte flüchtig, wie er es von Mylord abgeschaut hatte, und ging hinaus.
Die Nachtdienstwache am Torhäuschen meldete, dass nie
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mand das Palais betreten hatte, seit Roic weggefahren war.
Die Festlichkeiten in der kaiserlichen Residenz würden bis zum Morgengrauen weitergehen; allerdings erwartete Roic nicht, dass die Teilnehmer aus dem Palais Vorkosigan so lange bleiben würden, da für morgen Nachmittag und Abend die große Party geplant war. Er stellte den geborgten Wagen in der Garage ab, erleichtert darüber, dass das Fahrzeug bei der Fahrt durch einige der rowdyhafteren Menschenmengen zwischen dem Universitätsgebiet und hier keine schwer erklärbaren Dellen davongetragen hatte.
Leise ging er durch das größtenteils verdunkelte große Haus nach oben. Alles war jetzt ruhig. Die Küchenmannschaft hatte sich endlich bis zur morgigen Attacke zurückgezogen: Die Dienerinnen und Diener waren zur Ruhe gegangen. So sehr er sich auch beschwerte, dass er die Aufregungen des Tages vermisste, so genoss Roic doch für gewöhnlich diese stillen Nachtstunden, wenn die ganze Welt sein persönliches Eigentum zu sein schien. Zugegeben, drei Stunden vor Tagesanbruch erwies sich Kaffee als eine Notwendigkeit, die nur etwas weniger dringend war als Sauerstoff. Aber zwei Stunden vor Tagesanbruch begann das Leben wieder einzusickern, wenn diejenigen, die frühe Pflichten zu erfüllen hatten, aufstanden und heruntertappten, um ihre Arbeit zu beginnen. Er überprüfte die Sicherheitsmonitore im Hauptquartier im Keller und begann seine Rundgänge. Stockwerk um Stockwerk, Fenster um Fenster und Tür um Tür, niemals in genau der gleichen Reihenfolge oder zu genau der gleichen Uhrzeit.
Als er die große Eingangshalle durchquerte, hörte er ein
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Knarren und Klirren aus dem halb beleuchteten Vorzimmer der Bibliothek. Er hielt einen Moment inne, runzelte die Stirn und ging auf Zehenspitzen weiter, wobei er seine Fü
ße so sanft wie möglich über den Marmorboden bewegte und lautlos durch den offenen Mund atmete. Sein Schatten schwankte, während er die schwach leuchtenden Wandlichter passierte, und er vergewisserte sich, dass dieser Schatten ihm nicht vorauseilte, als er sich auf den Eingang zu bewegte. Er schmiegte sich an den Türrahmen und blickte in den Halbdämmer.
Taura stand da, mit dem Rücken zu ihm. und ging die Geschenke durch, die auf dem langen Tisch an der gegenüberliegenden Wand ausgestellt lagen. Sie beugte den Kopf über etwas, das sie in der Hand hielt. Dann schüttelte sie ein Tuch aus und stellte eine kleine Schachtel hochkant.
Die elegante dreifache Perlenkette glitt aus ihrem Samtfutter in das Tuch, das sie um sie wickelte. Sie schloss die Schachtel, stellte sie wieder auf den Tisch und steckte das gefaltete Tuch in eine Seitentasche ihrer rostbraunen Jacke.
Der Schock hielt Roic noch einen Moment länger in seiner Erstarrung. Mylords Ehrengast durchwühlte die Geschenke?
Aber ich habe sie gemocht. Ich habe sie wirklich gemocht. Erst jetzt, in diesem Augenblick der Enthüllung, erkannte er, wie sehr er begonnen hatte, sie zu … zu bewundern, in der kurzen Zeit, die sie zusammengewesen waren. Kurz, aber so verdammt unbeholfen. Sie war wirklich schön auf ihre eigene einzigartige Weise, wenn man sie nur richtig anschaute. Einen Moment lang hatte es so ausgesehen, als hätten ferne Sonnen und seltsame Aben
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teuer ihm aus ihren goldenen Augen gewinkt; vielleicht intimere und exotischere Abenteuer, als ein scheuer hinterwäldlerischer Junge aus Hassadar sich je vorzustellen gewagt hätte. Wenn er nur ein mutigerer Mann wäre! Ein gut
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