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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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mir Pildau den Umgang mit Wochentagen nicht bei, es gab morgen nichts, was es nicht heute auch nicht geben würde, der Verkehr der Straße unterlag tagsüber keinen Schwankungen, solange man ihn nur fern hörte. Stand man oben an der Aussicht und es fuhren weniger Lastwagen als sonst, konnte das, so viel wusste ich, immerhin auf einen Sonntag hindeuten. Die entstandenen Lücken auf der Straße wurden dann übrigens von Wohnwagen aufgefüllt. Zwei Wochen zu warten bedeutete in meinem Leben also nichts, als zunächst vor rasender Ungeduld zu sterben, darüber die Sache aus den Augen zu verlieren, einen ganzen kleinen Weltenlauf zu durchrennen und dann eines Tages am Ende der Gutenmorgengeschichte zu erfahren, dass heute Stangentag oder Geburtstag ist, und mein plötzliches Glück kaum fassen zu können. So war das mit den Wochen.
    Es würde Ladas erster Stangentag werden, und sie würde ihn verpassen, wenn sich bis dahin nicht noch etwas änderte. Zum Beispiel war ich mir nicht sicher, ob sie unsere Hofstange überhaupt bemerkt hatte. Zwar saß sie nicht mehr den ganzen Tag auf dem Bett, trank immer noch keinen Zuckerkaffee, aber sie nahm gelegentlich, was der Großvater ihr hinstellte. Es war nicht allzu viel Auswahl in seinen Schüsseln. Wenn er aber Brot machte, machte er ihr kleine, sichelförmige Laibe, in die er Veilchen, Gänseblümchen und die Blüten von Ringelblumen einbuk, was hübsch aussah, aber manchmal brannten die Blüten auch zu sehr ein, und dann sahen die Lada-Brote aus, als hätten sie eine Ladung Schrot abbekommen. Sie nahm die verbrannten, die kleinen Blumenwiesen ließ sie am Fuß des Bettes stehen. Unsere Nächte verbrachten wir ganz in der Manier der ersten Nacht. Lada schlief damals sehr früh ein und so schnell, als hätte sie das stumme Herum in meinem Zimmer fürchterlich erschöpft. Die Opis wuschen sie vorsichtig mit einem Waschlappen, danach kroch ich leise an ihre Seite und betrachtete alles ganz genau. Über diese Studien schlief ich irgendwann ein, und der Großwesir fand uns morgens bei brennendem Licht, geöffnetem Fenster und in Gesellschaft von Hunderten Faltern, Schnaken und Mücken.
    Irgendwann muss ihm diese Ansicht zu denken gegeben haben, denn eines Abends nach dem Laufen hatte er damit begonnen, das Zimmer am Ende des Flures zu räumen. Platz war im Haus genug, er war nur von unterschiedlichen Epochen der Hausgeschichte beansprucht. Aus dem Zimmer am Ende des Ganges, an dessen gesperrter Klinke ich in meinen Mittagsstunden gelegentlich gebaumelt war, holten die Opis in den nächsten Tagen einen ganzen Haufen erstaunlicher Dinge, und die Tatsache, dass diese Herrlichkeiten schon die ganze Zeit nur eine Armlänge von mir entfernt gelegen hatten, bestärkte mich in der Berufswahl Schatzsucher, die mir schon seit längerem in günstigstem Licht erschien. War es nicht das Schönste, Dingen allein dadurch wieder Wert zu geben, dass man sie entdeckte?
    Geweihe auf Holzbrettchen, Kisten mit Kerzen, Dosen mit Knöpfen und ein Kästchen, das jemand aus Obstkisten zusammengenagelt hatte und das von einem rostigen Hakenverschluss zusammengehalten wurde, schleppte ich unter den Augen von Lada in mein Zimmer. Mein Vater ging leer aus, keine Bücher und nur ein kleines Marienbild an der Wand, so bleich und staubig, dass ich gar keine Maria erkennen konnte. Der Großvater verschwand einen ganzen Nachmittag in der Scheune mit den Holzstämmen. Das neue Bett, das er später von dort ins Haus trug, war ihm etwas lang und dafür sehr schmal geraten. Er hatte die Wandseite unter dem Fenster ausgemessen und das Gestell kurzerhand über die ganze Länge gebaut, dafür maß es gerade mal knapp einen ausgestreckten Arm in der Breite. Lada konnte direkt unter dem geöffneten Fenster liegen, und dahinter hatten noch mal zwei ganze neue Kinder Platz.
    Als ich von einer der Plündertouren aus dem anderen Zimmer zurückkam, spielte Lada mit dem Kästchen. Ich erinnere mich sehr genau an diesen Anblick, weil sie zum ersten Mal, seit sie bei uns war, etwas einfach so tat. Sie strich die kleinen Quadrate aus Einlegepapier glatt, die auf den drei Fächern des Kästchens mit Reißnägeln angepinnt waren. Blasses Zeitpapier. Ich sah vom Türrahmen aus zu, wie sie vorsichtig einen der Reißnägel herausdrehte, sich die Spitze eine Weile besah und dann ganz langsam in den Zeigefinger der linken Hand drückte, ohne dabei ihre ruhige Zielstrebigkeit aufzugeben. Ich schrie, mein Vater stolperte heran, sah, was

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