Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman
schließlich hatte ich Jahre gebraucht, diese schönen Mutproben so läppisch aussehen zu lassen. Aber ich ließ mir nichts anmerken, präsentierte mein Forschungsgebiet an den Trichtergruben im Wald, und gemeinsam rannten wir zurück, wenn der Großvater pfiff. Sie sprach nicht viel, aber da war etwas, dass wir immer lachen mussten, wenn wir so gemeinsam den steilen Berg hinunterjagten. Allein hatte ich dabei nie lachen müssen, es ist erst das gemeinsame Bergablaufen, das die Muskeln mitreißt bis in die Wangen, und wenn man dann nicht schreit, nicht gleichzeitig atmet, läuft und wie besinnungslos lacht, dann müsste man ohne Übertreibung sterben oder zumindest stehen bleiben.
Eine Sache quälte mich zu der Zeit: Ich schrieb in diesem Sommer noch nichts in mein Tagebuch, obwohl der Großwesir mir diese Aufgabe ja so unmissverständlich gegeben hatte. Aber ich konnte es nicht und wusste auch gar nicht, wie ich es jemals lernen sollte. Es hatte mir nie jemand darüber gesprochen, und je weiter das Jahr fortschritt, desto verzweifelter nahm ich morgens Stift und Buch und erwartete ein über Nacht eingetretenes Schriftwunder. Wenn ich das Buch heute sehe, sind da viele kleine Punkte auf den ersten Seiten, immer hoffnungsvoll in einer neuen Linie angesetzt, es sind aber nur Punkte, sonst nichts. Das waren meine Startpunkte, von denen aus der Stift wie von selbst fahren sollte, wie ich es gelegentlich sah, wenn der Großvater auf der Tafel im Schuppen sauber unseren Gartenplan schrieb und hinter jeder Sorte vermerkte, wie viel und zu welchem Datum wir gesät hatten. Aber bei mir schrieb nichts, egal wie leicht ich meine Hand an den Stift legte.
Als Ersatz und um die weißen Seiten ein wenig zu besänftigen, malte ich, was mir wichtig schien, und sammelte Kleinigkeiten in dem Buch, die meisten hingen irgendwie mit Lada zusammen. Das Pflaster ihrer Reißnagelwunde legte ich hinein, genau wie eine der wilden Lupinen, die sie mit Lene am Waldrand gepflückt hatte und anschließend gepresst. Zwei dicke Bücher waren zu diesem Zweck von meinem Vater erbeten worden, der es sich natürlich nicht nehmen ließ, aus dem Wunsch der beiden Frauen eine ganztägige Suche nach den besten Büchern zum Blumenpressen zu machen. Er verlor sich so gern in seinen eigenen Ideen, erschien schließlich mit einem Stapel unter Vorbehalt geeigneter Werke, und mit »geeignet« meinte er das Zusammentreffen von erbaulicher Dicke und inhaltlichem Bezug zur naturalistischen Thematik.
Trotzdem war meine Tagebuchhaltung angesichts der Dinge, die sich in diesem Sommer ereigneten, äußerst mangelhaft, und auch wenn ich alle Mühe darauf verwandte, mir jeden Tag in seinen Einzelheiten einzuprägen, mir alles, was vorkam, bis hin zu Wörtern und Gerüchen, genau zu merken und abends im Bett so lange und gründlich zu wiederholen, bis ich einschlief, merkte ich, wie an den Rändern unablässig das Vergessen nagte. Niemals würde ich alles genau zu Papier bringen, wenn ich erst schreiben konnte, und wann sollte das überhaupt sein? Trotzdem, es war dieses Klammern und hilflose Aufsagen der Tage in mein Kissen, das mich heute in die Lage versetzt, aus dieser ersten großen Zeit auf Pildau noch so vieles zu schreiben.
Ich wartete auch darauf, dass in der Gutenmorgengeschichte etwas zu dem Thema Schreibenkönnen vorkam, schließlich wurden dort ebenso das Bravsein, das Aufräumen und das Selberwaschen hin und wieder mahnend an den Reiseritter Robert herangetragen. Aber mein Vater erzählte nichts vom Schreiben, und eines Tages ließ er in der Geschichte den Reiseritter sogar wie nebenbei eine Liste mit den Stellen verfassen, an denen er nicht kitzlig war. Das gab mir die bohrende Gewissheit, dass ich es auch längst beherrschen müsste, und in meiner Not versteckte ich das Tagebuch jeden Abend weit hinten unter meinem Bett, damit er nicht danach fragte.
Als ich es von dort eines Morgens heraustauchte, stand Lada hinter mir, sie konnte unheimlich leise sein. Mit abschätzigem Blick nahm sie mir das Tagebuch aus der Hand, blätterte durch meine kläglichen Schreibpunkte und kicherte, als sie meine Zeichnungen vom Stangentag sah. »Kannst du denn gar nichts schreiben?«
Getroffen zeigte ich ihr die Seite, wo ich die Türinschrift mit großer Sorgfalt und der Technik eines Porträtmalers kopiert hatte und wo in einer einzigen fahrigen Linie also der Satz von den Oliven und dem Wein stand.
Lada lachte schrill. »Du kannst kein bisschen schreiben!«
»Kannst
Weitere Kostenlose Bücher