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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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Lene-Mama, was ich durchaus nicht überraschend fand, ich wusste ja, wie gern sie alle im Haus besuchte. Sie stand in der Tür, sah Lada auf meinem Bett dozieren, mich im Kreise meiner Schnörkellinien, setzte sich dann zu mir auf den Boden, nahm sich ein Blatt und übte ebenfalls das große B.
    »Du musst auch noch weicher werden in der Hand«, sagte Lada mit einem kritischen Blick auf Lenes Blatt, und die nickte artig.
    Dieser Schulbesuch der Lene aber blieb nicht ohne Folgen. Schon in der nächsten Gutenmorgengeschichte erfuhr der Reiseritter Robert von einem Schulschiff, das am nächsten Donnerstag um halb zwei in der Nähe anlegen würde und zufällig noch einen Platz frei hatte.
     
    Lada und mich in eine richtige Schule zu schicken wäre den Opis bestimmt irgendwann eingefallen, nur eben nicht sofort. Heute betrachtet, muss ich zugeben, dass die Lene-Mama für unsere Einschulung in diesem Herbst ganz vernünftige Argumente hatte. Ich war sechs Jahre alt und ließ mir von meiner Waisenschwester schon freiwillig Unterricht im Schnörkeln geben. Und der Sommer neigte sich dem Ende zu, trotz des vehementen Widerstands eines kleinen Jungen, der nicht einsah, warum an einem solchen Nachmittag, wenn er mit dem Großvater im Garten Schatzsuche spielte, die Lene auf dem Balkon in ihr Buch versunken war, der Vater im Stall spanische Lokalnachrichten empfing und ein strenges Mädchen seine Beine aus dem Fenster baumeln ließ, warum da nicht die Zeit einrasten konnte, wie sie es doch auf dem Ziffernblatt der Kapelle auch getan hatte. Niemand hatte etwas davon, dass jeden Morgen mehr Birkenblätter im Löschweiher trieben, in einer Farbe, die mein Vater beim Schleiefüttern mit einem Blick als Wittelsbacher-Gelb klassifizierte. Der Mangold stand längst so hoch wie Lada, und seine Stiele waren von solchem Rot, dass nachmittags, wenn die Sonne schon tief zwischen die Reihen ging, die ganze Hauswand wie ein südliches Metall leuchtete, ganz rot und ganz gold.
    Zwei Tage lang rang Max Honigbrod noch mit der geeigneten Eröffnung, dann erklärte er Folgendes und stand dabei der kochenden Lene im Weg:
    »Liebe Lada, lieber Jasper. Angesichts der beträchtlichen akademischen und auch außerakademischen«, der Großvater verzog die Falten einer halben Gesichtshälfte zu einer ziemlich schiefen Ebene, »ehm, Ausrichtung dieser Hofstatt erscheint es mir nur folgerichtig, dass ihr im September die Dorfschule besucht. Ich bin mir sicher, ihr werdet diese, ehm, schlichte Anstalt zügig und mit denkbar günstigem Erfolg absolvieren und überhaupt eine äußerst großzügige Bereicherung des dortigen Niveaus darstellen. Bitte vergesst nicht, dass die Honigbrods in dieser Gegend zwar nicht heimisch sind, aber doch auf eine gewisse, und ich möchte sagen, durchaus ruhmreiche Familientradition in ebendieser Schule zurückblicken. Gleichzeitig möchten wir, also Dr. Marlene John, der, ehm, unser aller Oheim hier und ich, euch in den jeweiligen Fachgebieten von Beginn an eine noch umfassendere Zusatzausbildung angedeihen lassen, und zwar in den Fächern Biologie«, er nickte der Lene-Mama zu, »Literatur und Physik. Es gibt keinen Grund, warum ihr nicht jetzt schon in diesen Bereichen über gewisse Grundlagen verfügen solltet.«
     
    So kam es also. Lada hatte die Rede von unserer Einschulung mit mäßigem Interesse verfolgt, entwickelte aber doch in den Tagen vor Schulbeginn einen gewissen Eifer in ihrer Vorbereitung. Sie legte all ihre Kleider immer wieder neu ordentlich auf dem kleinen Kästchen ab, ließ sich von mir in den Mund schauen, ob nicht ein Wackelzahn dabei wäre, den sie vorher noch ziehen und als Trophäe in die Schule mitbringen könnte. Dann musste ihr die Lene-Mama im Hof die Haare schneiden, aber nur eine solche Winzigkeit, dass das Spektakel schon vorbei war, als ich meine Zuschauerposition auf dem Stangenpodest gerade bezogen hatte. Ein paar kleine Locken von ihr lagen im Gras, ich sammelte sie zwischen Löwenzahn und wildem Thymian heraus und betrachtete sie lange. Es war Milchrot, also ein Teil Rot auf drei Teile Milch, das war die Formel für Ladas Wellenhaar, und ich hatte sie entdeckt. Lada beobachtete mich von ihrem Fenster aus, sah mich und ihre gefallenen Locken einen langen Augenblick lang scharf an, dann kippte sie zurück ins Zimmer, warf das Fenster zu und sprach einen ganzen Tag lang nicht mit mir.
    Ich fand gar nichts an der Idee, jeden Morgen in das Dorf zu gehen, von dem ich ohnehin nur höchst

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