Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman
jene Stelle im Himmel gezogen, wo sie alle die Maria vermutet hatten.
Je mehr er arbeitete, desto genauer wurde er in allem. Nicht, weil er versessen nach der Exaktheit war, sondern, weil er sich vor dem Moment fürchtete, wenn das Haus und alle Gebäude fertig waren. Er fing immer wieder von neuem an, besserte aus, überstrich und sortierte in schwachen Stunden einfach nur Werkzeug und Schrauben, für jede Größe ein eigenes altes Glas, er klopfte alte Nägel gerade und beschriftete die Schubladen. Das Einzige, was er nie anrührte, war die Schwalbe, in der Max gesessen hatte.
Eines Tages kam ein Brief mit Stempeln, es waren die Amerikaner. Sie luden ihn ein, beim Produktionsstart des
Original Pildauer
dabei zu sein. Das war eine Erntemaschine, es lagen Fotos in dem Brief, aber sie hatte keine allzu große Ähnlichkeit mit dem Rübenernter. Statt des Raupenfahrwerks hatte sie nur noch doppelachsige Traktorräder. Zwei Monate blieben ihm, er telegrafierte. Er würde kommen. Und so geschah es, dass sich Ludwig Honigbrod aus Pildau an einem sehr hellen Junitag nach Amerika einschiffte. Er hatte nichts bei sich als einen neuen Anzug und einen kleinen Pappkoffer und dachte, als er die sanft dünende See hinter der Hafenmauer sah, das hier ist auch mein Null.
Mit Lada in der Schule und im Mais
Dreimal im Jahr gab es keine Gutenmorgengeschichte für uns, das waren die Tage, an denen die Stange verlängert wurde. Ich erinnere mich an den ersten Stangentag mit Lada so genau wie an alle anderen, es waren die Feste meiner Kindheit, und mit derselben Akribie, mit der mir andere später von dem Moment erzählten, in dem die Wohnzimmertür zu ihrem Christbaum aufging, kann ich von dem Moment sprechen, in dem das neue Stück Stamm aus dem Schuppen geschoben wurde. Das Längen unserer Hofstange unterschied sich übrigens kaum von den Verfahren der Menschen vor zweihundert Jahren, sieht man von der Unterstützung des Dieselmotors ab. Der Traktor lief, die Lene-Mama trug ein langes Kleid, und wir Kinder durften bei ihr auf dem Balkon stehen, der zu dem Zimmer gehörte. Lada saß auf dem Geländer, Lene nah hinter ihr, die Hände halbhoch am Körper, um sie vielleicht doch noch zu halten, wenn sie stürzte. Wir sahen, wie mein Vater die Antriebswelle des Traktors mit der Fassung der Hofstange verband. Der Großvater lockerte schon seit dem Morgen mit einem riesigen Schraubenschlüssel die Bolzen und Stellschrauben, ölte die Zahnräder und gab schließlich das Signal, auf das wir am Balkon gewartet hatten, dazu ließ er mit Daumen und Zeigefinger seinen Pfiff ertönen, immer die gleiche Melodie, das ging wie Ho-Hiu. Das Schwungrad am Traktor mit dem Antriebsriemen leierte daraufhin los, und mit einer müden Verzögerung in den Zahnrädern, die ich sehr spannend fand, setzte sich langsam die Hebemechanik am ganzen Podest in Gang. Ächzend hob sie die Stange erst aus ihrem gelockerten Griff der Beschläge und drückte sie dank der Honigbrod-Hydraulik schließlich zentimeterweise weiter in den Himmel über uns. Die Lene-Mama und ich klatschten und riefen den Männern Phantasieworte zum Anfeuern zu, die ich ihr vorher einflüstern musste. (Ich dachte sie mir einfach aus, behauptete aber, es wären alte Zauberworte. Sie glaubte es.) Manchmal gab sie mir dabei auch einen kleinen Kuss, was mir aber unrecht war, weil es mich von dem Treiben unten ablenkte. Außerdem trug ich an Stangentagen meistens den Federschmuck aus meiner Kostümkiste, der mir durch den Kuss nicht angemessen gewürdigt schien. Sie roch aber sehr gut nach warmem Stein. Lada hatte von Beginn des Schauspiels an die Augen weit aufgerissen und vergewisserte sich mit gelegentlichen Rückblicken, ob wir das Gleiche sahen wie sie. Als wir klatschten, hob sie auch die Hände, beließ die Bewegung aber in diesem frühen Stadium, als wäre es zu riskant, angesichts der Dinge, die sich taten. So hielt sie ihre Hände lange über dem Geschehen wie ein kleiner Priester, der etwas zu segnen hatte. Ich war sehr stolz, dass unsere Hofstange solchen Eindruck machte.
Die Männer auf der Wiese schwitzten und riefen sich ihre Kommandos zwischen Traktor und Podest hin und her. Es war ein erhebendes Schauspiel, wenn die Stange schließlich wirklich nach oben ruckte, die alte Endmarke sich bewegte, die der Großvater mit Kalkfarbe gezogen hatte, der Traktor belferte und der Mast einen fürchterlichen Moment lang sogar wankte. Wir konnten die Augen nicht von dem Punkt nehmen, an dem er im
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