Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman
das war sehr einfach. Ich dachte, wie stolz mein Vater auf uns gewesen wäre, weil wir so ein kluges Gespräch führten, ein typisches Max-Honigbrod-Gespräch voller Dinge, die man nicht genau verstehen konnte. Ich sah den Himmel und roch Lada, Wiese und ein Tropfen Benzin, es war herrlich. Sie streckte ihre Hand durch die Stabreihe, und ich nahm sie. Es war genauso gekommen, wie ich es von Anfang an gesehen hatte, in der ersten Nacht, als sie in der Kratzdecke lag.
»Jetzt, glaube ich, ist das Besondere auch bei mir«, sagte ich später. Lada sah mich erstaunt an, drückte fester. Es funktionierte.
Die zwei Tage, bis die Opis wieder da waren, kamen mir vor wie Wochen. Als das Knattern der Zündapp über den Hügeln lag, hörte es sich anders an als früher, weil es in mir nicht mehr das Gleiche anschlug wie bei ihrer Abfahrt. Es war jetzt nur ein Geräusch aus meiner Kindheit. Ich widerstand dem Drang, ihnen am Weg entgegenzurennen, das war ganz leicht. Ich lehnte am Podest, Lada fläzte an ihrem Fenster, zwischen uns war ein unsichtbares Seil gespannt, auf dem unablässig eine Gondel fuhr. Von mir zu ihr. Ich kann mich heute nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern, aus denen diese zwei Tage unserer ersten kleinen Regentschaft auf Pildau ihr wunderbares Muster bekamen, aber was ich weiß, ist, dass, wann immer wir in Zukunft allein blieben, sich das Gleiche einstellte, dieser nicht endgültig zu klärende Schwindel, der mich erfasste und in dem alles neu war. Ich führte über diese Tage auch kein Tagebuch, obwohl ich es heute bereue, aber es war doch immerhin denkbar, dass jede Mitschrift den Zauber gefährdet hätte. Außerdem hatte ich für das meiste keine Namen.
Wir schliefen in Ladas Zimmer, sie hatte aus Tüchern und Decken eine Höhle gemacht, die wir bis in den Gang ausdehnten. Dorthin hatten wir den Kuchen und die Suppen geschleppt, unsere Bücher und meine Schatzkiste. Man muss sagen, so eine Höhle ist eine vorzügliche Sache und unbedingt zu empfehlen, wenn einem das Haus mit Einbruch der Dunkelheit zu unheimlich ist. Leere Treppen nach unten kann ich bis heute nicht gut haben. In unserer Höhle aber war das alles vergessen. Es gab darin einen Trakt für Jungen und für Mädchen, Lada hatte in dieser Zeit ein Buch über Burganlagen im Mittelalter zu lesen bekommen und ging über vor Erklärungen. Ich las aus
Wind in den Weiden
, sie fesselte mich probehalber mit einem Stück Gartenschnur und kitzelte mich, weil das die Ritter gemacht hatten. Dann lagen wir mit den Ohren am Boden und hörten auf die Geräusche im Haus, und Lada sagte bei jedem Knacken, was es wahrscheinlich war. Es waren Erdbeben, Einbrecher und Vulkanausbrüche, die alle etwas gemein hatten – sie kamen nicht bis an unsere Höhle.
Ich hatte noch hundert mehr neue Erlebnisse. Wie schnell eine Nacht vorbei war, wie weich man an ihrer Seite lag, wie anders Lada pissen konnte. Ich weiß nicht, was süßer war, aber alle Mutproben, alle Auto-Reime und Schatzverstecke, die ich kannte, standen hinter diesen Neuigkeiten zurück. Der Schrecken der Nacht, die Härte des Bodens, der eigenartige Geschmack Ladas, es war, als wären nicht die Opis woanders gewesen, sondern ich, als käme ich zurück von einem Kontinent, unfähig, die Zusammenhänge auch nur annähernd zu verstehen. Ich wachte beide Morgen im Mädchentrakt auf.
Dies alles schreibe ich nur, um zu erklären, warum ich die Rückkehr des Großvaters so kühl ans Podest gelehnt geschehen ließ. Ich weiß nicht mal, ob es den Opis auffiel. Lene und mein Vater bestürmten uns mit Fragen, wobei Lenes eher praktischer Natur waren und mein Vater Grundsätzlichkeiten wissen wollte, die man auch nach einem Jahr allein in Pildau nicht beantworten könnte. Ob uns aufgefallen wäre, dass Ostwind im Juni immer nach Jasmin roch, ob wir auch das Gefühl hätten, das Sternbild wäre um eine Winzigkeit verschoben, solche Dinge. Der Großvater kontrollierte ausgiebig die Hofstange und lobte uns für ihren ausgezeichneten Zustand. So bewegt war ich von allem, dass ich erst abends überhaupt fragte, was gewesen wäre mit dem Doktor. Der Großvater zeigte mir eine kleine Schublade, in der Pillen lagen, blaue und weiße. Jeder Wochentag hatte ein eigenes Fach, in jedem vier Tabletten. »Die schmieren die Scharniere«, sagte er und tippte sich gegen die Schläfe. Rote Zwiebeln, blaue Tabletten und die zwei Nächte mit Lada, das waren viele Neuigkeiten für eine kleine, nahezu verlassene
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