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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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etwas von Dotterpfannkuchen, und das hatte eine erstaunliche Wirkung, Ludwig Honigbrod stieß den halb angelegten Stiefel mit einem Tritt wieder ab und fluchte, was überhaupt noch nicht vorgekommen war. Dann war er in die Küche zurückgestapft, hatte Pfannkuchen für uns gemacht, aber nichts eingebacken, und war den ganzen Tag über verstimmt gewesen. Ich dachte mir nichts weiter dabei, höchstens, wie seltsam es war, dass er ausgerechnet an unserem Geburtstag das Fluchen neu hatte. Heute weiß ich annähernd, was das alles bedeutete und dass an jenem besonderen Tag im Herbst, an dem wir die glitzernden Bänder zum ersten Mal gesehen hatten, auch noch etwas begonnen hatte, das viel größer war als unser wehendes Geheimnis am Straßenrand.
    Den ganzen Winter hindurch hatte es Kleinigkeiten mit dem Großvater gegeben, die niemandem und am wenigsten Max Honigbrod aufgefallen waren, aber ich kann sie noch heute zusammensetzen. Besser gesagt, ich weiß, wie sich manche Winzigkeiten an den Rändern der Tage veränderten. Einmal fand ich auf dem Küchentisch einen Löffel mit Suppe. Es war kurz vor dem Abendessen gewesen, die Suppe aus Kürbis und Mangold warf in dem schwarzen Emailletopf auf dem Ofen langsam ihre Blasen, und ein wenig davon, ein Fingerhut voll, war eben auch in dem Löffel auf dem Tisch. Einen gefüllten Löffel wieder abzulegen, da musste man überhaupt nicht lange überlegen, das war eine zutiefst verstörende Sache. Ich suchte nach dem Urheber, hörte das Radio aus den Arbeitsräumen und fand draußen den Großvater, der sich an dem Röhricht des Löschweihers zu schaffen machte. Er band es für den Winter stets zusammen, damit der Schnee die Stangen nicht ganz zerdrückte. So rang er im Schein der Hoflampe mit dem Busch, und obwohl es dunkel war und schneite, trug er nur das Hemd und die Kochschürze. Ich gab Laut und ging wieder ins Haus, es war mir doch etwas unheimlich. Später war der Löffel verschwunden, der Großvater stand wieder am Ofen und tat, als wäre nichts geschehen, und nur ich sah den Röhricht-Flaum, der sich an seinem Kragen gefangen hatte, und die zerschnittenen Handkanten, denn das Rohr war sehr scharf.
     
    Als zum ersten Stangentag des Jahres die Lene-Mama kam, brauchte sie nur ein paar Stunden, um zu erkennen, dass mit dem Großvater etwas nicht stimmte. Ich weiß nicht, woran sie es merkte, aber nach dem Längen saßen die Opis mit ernsten Gesichtern am Tisch, niemand kochte, niemand beachtete uns Kinder. Sogar Lada registrierte es und erkundigte sich, vor ihr trauten sich die Opis nicht, so ganz himmelschreiende Seltsamkeiten zu erzählen, und so war sie es, die mir später erzählte, der Großvater müsste zum Doktor in die Stadt. Sie liebte es, Neuigkeiten mit erwachsener Entschlossenheit und hartem Blick zu verkünden, was immer großen Eindruck auf mich machte, auch wenn es nicht allzu oft Gelegenheit dazu gab. Man darf nicht vergessen, in einer Einöde ist man für alle Nachrichten meistens selbst verantwortlich, oder sie betreffen einen auf unangenehm direkte Art. Vielleicht war das die Zeit, in der ich begann, alle Neuigkeiten abzulehnen, aus dem einzigen Grund, weil sie den Bestand störten.
    Lada konnte mit ihrem Auftritt diesmal jedenfalls zufrieden sein: Ich lief heulend zum Großvater, umklammerte, was ich von ihm kriegen konnte, und brachte kein Wort heraus. Er flüsterte beruhigende Worte, hob mich Huckepack und in den Garten hinaus, wo er mich absteigen ließ. »Schau mal, Jasper, dieses Jahr versuchen wir rote Zwiebeln, die hat die Lene aus England mitgebracht.« Er schüttelte die Säckchen mit den Steckzwiebeln, als wären es feine Glocken. Ich wollte nichts davon wissen. Rote Zwiebeln waren eine Neuigkeit, ohne die wir es bisher auch sehr gut ausgehalten hatten.
     
    Sie fuhren einige Wochen später und ganz in der Früh, Lene mit dem Großvater auf dem Rücksitz und mein Vater auf seiner winzigen Zündapp hinterher. Die Maschine war so klein unter ihm, dass es aussah, als würde er in der Hocke einen halben Meter hoch durch die Felder schießen. Es hatte Überlegungen gegeben, ob wir Kinder zwei Tage allein bleiben konnten, und schließlich war es Lene, die entschieden hatte. Sie hatte uns einen Kuchen, Brot und zwei Töpfe hingestellt, die wir nur warm machen mussten. Max Honigbrod hatte eine Liste mit Hausregeln geschrieben, die er im Stil eines britischen Universitätsdekans am Abend vor ihrer Abreise feierlich vortrug. Es waren hübsche Dinge dabei,

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