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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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an die ich ohne die Liste nie gedacht hätte. Der Sicherungskasten war uns verboten, ebenso wie das Entfernen der Steinplatten über dem Brunnenloch, die eigene Zubereitung von Zuckerkaffee und noch manch anderes, der letzte Punkt verbot uns sogar, die Hofstange eigenmächtig zu längen. Wir versprachen alles so vernünftig, wie wir es vermochten, und ich wusste in diesem Moment gar nicht, was aufregender war, die Sache mit dem Spezialdoktor für den Großvater oder Lada und ich allein in Pildau.
    Als sie im Wald verschwunden waren, hörten wir auf zu winken und blieben auf dem Podest der Hofstange stehen. Es waren späte Pfingstferien und die Tage schon heiß. Der Mais auf den angrenzenden Feldern war in den letzten Wochen geschossen, er stand jetzt schon bis über unsere Köpfe. »Los«, hörte ich Lada, und im nächsten Moment war sie runter vom Podest, über den Hof und in der ersten Reihe verschwunden. Ich hinterher, auch wenn mir vom Abschied von den Opis noch ganz weich in den Beinen war. Der Mais war an den Außenseiten des Feldes niedriger als in der Mitte, ich sah Lada in diese Richtung verschwinden, ihre Haare leuchteten gegen das Lindgrün, und das war es, was mich immer schneller laufen ließ, dieses Bild wirkte außerordentlich auf mich, meterlang lief ich mit geschlossenen Augen, nur hinein in dieses fliehende Rot. Lada war gut, aber an diesem Tag war ich konzentriert, es war wieder so ein Moment wie damals, als wir sie die Treppe hinauftrugen. Ich war wach und angespannt, mit jedem Pulsschlag wurde mein Blick genauer, mein Sichtfeld größer, bis ich die Dinge sah, als säße ich weit oben auf der Hofstange. Ich sah die Opis in kleiner Kolonne auf dem Weg zum Bahnhof und wie der Großvater als Einziger dabei Augen für jeden Baum, jedes Haus am Wegesrand hatte, während die anderen beiden kaum von der Straße aufblickten, so schwer war ihnen alles. Ich sah Lada, wie sie diesmal, anders als früher, nach ein paar Dutzend schneller Schritte innehielt, nicht geduckt, sondern sich offen umdrehte und betont lahm ein paar Schritte weiter ins Maisfeld hinein machte, ich sah die winzigen Tropfen an ihrer linken Schläfe, und ich sah und fühlte mich im Zentrum dieser Übersicht, in der einzigen Hose, die mir richtig passte, den Federschmuck im Haar und die sichere Gewissheit in allen Zellen, jeden Schritt in die richtige Richtung zu setzen. Ich sah sie am Ende der Reihe, beschleunigte, flog auf sie zu, und erst nach zehn Schritten hörte sie mich, so lautlos war ich unterwegs, so gekonnt wich ich allen streifenden Blättern und raschelnden Spelzen aus. Sie sah mich und lief gar nicht erst, schlüpfte nur leise eine Reihe weiter, und so fand ich sie, kauernd hinter einer Reihe aus Maisstämmen, Lada wunderschön.
    »Lada wunderschön«, sagte ich, und ich sagte es gut. Sie wurde rot, anders als vom Laufen, dann legte sie sich auf den Rücken und schaute in den Himmel, ich machte es ihr nach, zwischen uns stand der Mais mit seinen weißgrünen Stangen. Wenn man so lag, gingen sie genauso in den Himmel wie unsere Hofstange. Es kamen Wolken, kleine. Keine Flugzeuge.
    »Hast du das auch?«, fragte Lada nach einer Weile.
    »Was?«
    »Dass du etwas Besonderes bist.«
    Ich dachte nach. Grundsätzlich war ich geneigt, allem, was von ihr kam, zuzustimmen, nur um ihr niemals Enttäuschung zu sein. Aber das kam mir doch zu komisch vor. Ich wusste nicht, was sie für Bücher vom Großwesir bekommen hatte, aber alles, was ich gelesen hatte und was von besonderen Menschen handelte, von Bergsteigern und Ärzten, die Bakterien entdeckten, die Astronomen, die der Großvater kannte, das waren besondere Menschen, und nichts aus ihren Leben schien auch auf mich zuzutreffen.
    »Nein«, sagte ich
    Sie sah mich an, durch die Stäbe. »Wirklich nicht? Ich weiß ganz bestimmt, dass ich etwas ganz anderes werde als alle anderen, ich weiß nicht, was, aber es kommt, ganz sicher, es ist schon jetzt so. Schau, es sitzt hier.« Sie zog ihr Hemd hoch und pikte sich links oberhalb des Bauchnabels leicht hinein. »Ich dachte aber, das hat jeder«, sagte sie und drehte sich wieder in den Himmel.
    »Vielleicht kommt es noch bei mir?«
    Sie sagte nichts. Dann: »Nein, weißt du, es ist gut, dass es bei dir nicht so ist, das bedeutet auch was. Sei nicht traurig, es muss nicht jeder was Besonderes sein, dann wäre es das ja nicht mehr.«
    Das leuchtete mir ein, und ich war froh, Lada eine Freude machen zu können, indem ich nichts Besonderes war,

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