Vorn
dreißig als hoffnungsvolle Talente bezeichnet, als Profikandidaten, deren
ernsthafte Hoffnungen von frühen Verletzungen zunichte gemacht worden waren. Dennis hatte nach seinen eigenen Aussagen bis
zu einem Knöchelbruch als 17-Jähriger in der Jugend von Eintracht Frankfurt gespielt (und war anschließend von seiner Mutter
nur deshalb zu einem einjährigen Schüleraustausch nach England geschickt worden, weil sie sich Sorgen machte, dass er zu Hause
ohne Fußball unglücklich werden |61| würde). Tobias war bei einem Münchner Club in der höchsten Jugendliga gewesen, bevor er sich am Knie verletzte. Solche Erzählungen
waren aber normalerweise aufschneiderische Mythen, die sich dann auf dem Platz, wenn die ersten klobigen Aktionen mit verschämten
Entschuldigungen kommentiert wurden – »schon länger nicht mehr gespielt«, »muss erst noch richtig reinkommen« –, sofort im
Nichts auflösten. An diesem Nachmittag an der Isar war es anders: Die Pässe beim Warmmachen kamen genau in den Fuß; jeder
der drei hielt den Ball ein paar Mal auf elegante Weise hoch, bevor er ihn weiterspielte; und das kurze Lächeln auf ihren
Gesichtern verriet die Genugtuung darüber, dass sie alle ihre Versprechungen eingehalten hatten. Während sie sich auf diese
Weise den Ball zuspielten, kamen drei junge Türken auf den Bolzplatz und fragten, ob sie Lust auf ein Spiel hätten, drei gegen
drei, auf kleine Tore. Dennis, Ludwig und Tobias willigten ein, und sie gewannen es haushoch.
Vor allem Dennis bewies, dass er mit der Erwähnung seiner Vereinskarriere nicht übertrieben hatte. Er war einer der seltenen
Spielertypen, deren Stärke gleichermaßen im Athletischen wie im Fußballerischen lag. Mit unglaublicher Kraft stand er hinten
in der Abwehr, nahm den Spielern der anderen Mannschaft fast jeden Ball ab und passte ihn souverän zu Ludwig oder Tobias.
Dieser Spätnachmittag auf dem Rasenstück an der Isar war die Geburt der
Vorn
- Fußballmannschaft. Am nächsten Morgen wurde in der Redaktion in ausschmückenden Worten von der Partie erzählt, und die, die
nicht mitgespielt hatten, waren begierig darauf, beim |62| nächsten Mal auch dabei zu sein. Ralf, der Grafiker, erwähnte schließlich eine Sportanlage ein paar Kilometer außerhalb von
München, auf der er mit einer Freizeitmannschaft spielte, und das
Vorn
- Team traf sich von nun an jeden Donnerstagabend nach der Arbeit auf diesem Platz. Es kamen also noch weitere Spieler hinzu:
Robert, der in seiner Jugend ebenfalls im Verein gewesen war; Thomas und Sebastian, zwei robuste Verteidiger; Ralf, ein Linksaußen
mit beeindruckender Schusstechnik; und noch ein paar Mitarbeiter aus der Anzeigenabteilung des Magazins, vor allem ein guter
Torwart. Interessant war es zu beobachten, wie sich der Schreibstil der Redakteure zu der Art verhielt, wie sie Fußball spielten.
Fast ausnahmslos zeigte sich eine gewisse Übereinstimmung. Dennis, der als Journalist großen Ehrgeiz besaß, war auch auf dem
Fußballplatz erst zufrieden, wenn er seine Gegenspieler zermürbt und die eigene Mannschaft gewonnen hatte. Robert spielte
elegant und leichtfüßig, aber mit leichtem Hang zu Manierismen, genauso wie es auch in seinen Pop-Artikeln manchmal der Fall
war. Ludwig schließlich war ein brillanter Taktiker, vergaß darüber jedoch gelegentlich das Spielen und verzettelte sich auf
dem Platz in theoretischen Ausführungen; er war also auch in der Fußballmannschaft eine Art Schlussredakteur, der das Spiel
lesen konnte wie kein Zweiter, mit eigenen Aktionen aber häufig an seinen Ansprüchen scheiterte. Man hätte leicht die Behauptung
aufstellen können, dass jeder so Fußball spielte, wie er schrieb – wäre nicht manchmal auch Philipp Nicolai zu den Fußballabenden
mitgekommen, der Kinokritiker der Tageszeitung, der im
Vorn
eine Kolumne über Musikvideos |63| hatte. Nicolai galt als der beste jüngere Schreiber der Zeitung; seine Artikel über Filme waren Meisterwerke der Sprachkunst
und Beobachtungsgabe. Auf dem Fußballfeld jedoch erwies er sich als knüppelharter, technisch wenig beschlagener Verteidiger,
der sein beträchtliches Körpergewicht rücksichtslos zum Einsatz brachte. Vor dem Computer war Nicolai Beckenbauer, auf dem
Rasen Schwarzenbeck oder – was sein Erscheinungsbild in Trikot und Fußballschuhen anging – sogar Hans-Peter Briegel; mit heruntergelassenen
Stutzen und stämmigen Waden pflügte er den Rasen um und
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