Vorsatz und Begierde
Die Camm besitzt eine Hundeleine, wissen Sie noch? Die Amphlett übrigens auch. Wie Reeves sagte, ist sie am Sonntag abend mit ihrem Hund auf der Landzunge spazierengegangen.«
»Es gab aber keine Pfotenabdrücke am Tatort, Sergeant. Wir wollen doch nicht voreilig urteilen! Möglich, daß sie am Tatort war, aber der Hund war auf gar keinen Fall dort.«
»Den hat sie im Auto gelassen, Sir. Vielleicht hat sie ihn nicht dabeigehabt, aber wie ich vermute, hat sie die Leine benutzt. Außerdem gibt es da noch etwas anderes: die beiden Weingläser im Thyme Cottage. Nach meiner Meinung war Caroline Amphlett mit der Robarts zusammen, bevor diese zum letztenmal zum Schwimmen ging. Sie ist Mairs Assistentin. Die Robarts hätte sie ohne weiteres eingelassen. Es paßt alles zusammen, Sir. Ein absolut wasserdichter Fall!«
So wasserdicht wie ein Sieb, dachte Rikkards. Aber Oliphant hatte recht: Es gab Verdachtsmomente, selbst wenn es bis jetzt auch nicht den Schatten eines Beweises gab. Er durfte nicht zulassen, daß seine Abneigung gegen den Mann sein Urteilsvermögen beeinträchtigte. Und eine Tatsache stand deprimierenderweise fest: Wenn er einen anderen Verdächtigen verhaftete, würde diese Theorie aufgrund des völligen Fehlens stichhaltiger Beweise für jeden Verteidiger ein gefundenes Fressen sein.
»Genial«, erklärte er, »aber reine Indizienbeweise. Wie dem auch sei, das hat bis morgen Zeit. Heute abend können wir nichts mehr tun.«
»Wir sollten mit Reeves sprechen, Sir. Möglicherweise ändert er morgen seine Aussage schon wieder.«
»Sprechen Sie mit ihm. Und informieren Sie mich, sobald die Camm und die Amphlett wieder zurück sind. Ich sehe Sie um 8 in Hoveton. Dann werden wir sie uns holen. Und ich wünsche nicht, daß sie vernommen werden – keine von beiden! –, bis ich morgen selbst mit ihnen gesprochen habe. Ist das klar?«
»Jawohl, Sir. Gute Nacht, Sir.«
Als er den Hörer aufgelegt hatte, sagte Susie: »Wenn du meinst, du müßtest hin, Liebling – kümmere dich nicht um mich. Jetzt, wo ich zu Hause bin, geht es mir wieder wirklich gut.«
»Es ist nicht so dringend. Das kann Oliphant allein erledigen. Es freut ihn, wenn er den Befehl übernehmen darf. Machen wir ihn zu einem glücklichen Jumbo.«
»Aber ich möchte keine Belästigung für dich sein, Liebling. Mummy meinte, wenn ich nicht da bin, sei das Leben leichter für dich.«
Er wandte sich um und zog sie in seine Arme. Auf ihrem Gesicht spürte er warm die eigenen Tränen. »Mein Leben kann gar nicht leichter sein, solange du fort bist!« versicherte er.
46
Die Leichen wurden zwei Tage später zwei Meilen südlich von Hunstanton an Land gespült – jedenfalls genug von ihnen, um sie mit Sicherheit identifizieren zu können. Am Montag morgen sah ein pensionierter Steuerbeamter, der mit seinem Dalmatiner am Strand spazierenging, wie der Hund an etwas herumschnupperte, das ihm vorkam wie ein weißer Klumpen Fett, der, in einem Haufen Tang gefangen, in der auslaufenden Brandung hin und her rollte. Als er näher kam, wurde der Gegenstand von den zurückweichenden Wellen ins Meer gesogen, dann aber von der nächsten Flutwelle gepackt und ihm vor die Füße geworfen. Und zu seinem abgrundtiefen, ungläubigen Entsetzen starrte er auf den Torso einer Frau hinab, der sauber an der Taille durchtrennt worden war. Sekundenlang blieb er wie versteinert stehen und blickte hinab, während die Tide in der leeren linken Augenhöhle brodelte und die flachgedrückten Brüste wiegte. Dann drehte er sich plötzlich um und erbrach sich unter heftigem Würgen, bevor er, seinen Hund am Halsband gepackt, wie ein Betrunkener über den Kies davonwankte.
Die – unverstümmelte – Leiche von Caroline Amphlett wurde von derselben Tide zusammen mit Planken von dem Boot und einem Teil des Kabinendachs angespült. Gefunden wurde sie von Daft Billy, einem harmlosen, freundlichen Strandgutsammler, bei einem seiner regelmäßigen Ausflüge. Es war das Holz, das ihm zunächst ins Auge fiel, und unter übermütigen Freudenschreien zog er die Planken schnell an Land. Erst als er seinen Schatz geborgen hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit der Ertrunkenen zu. Sie war nicht die erste Leiche, die er in seinen vierzig Jahren als Strandläufer gefunden hatte, daher wußte er, was er tun und wen er benachrichtigen mußte. Zuallererst schob er ihr beide Hände unter die Achselhöhlen und zog die Leiche aus der Reichweite der Wellen. Dann kniete er leise seufzend, als
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