Vorsicht, frisch verliebt
Frau als Sie kann er niemals finden. Lassen Sie ihn also ja nicht merken, wie unglücklich Sie seinetwegen sind.«
Ganz bestimmt nicht , dachte Isabel erbost.
Nachdem Tracy weg war, schnappte sie sich ihre Jacke und stapfte aus dem Haus. Sie wollte sich beruhigen, musste dann jedoch erkennen, dass der Zorn viel angenehmer war als der bisherige Schmerz. Zweimal in vier Monaten war sie wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen worden. Sie war es leid, unendlich leid. Zugegeben, die Trennung von Michael hatte sich als Segen herausgestellt, Ren aber war ein Feigling völlig anderer Art. Gott hielt ein kostbares Geschenk für sie beide bereit, doch nur sie hatte den Mumm, tatsächlich danach zu greifen. Was also machte es aus, dass sie von allem zu viel war? Das war er schließlich auch. Genau das würde sie ihm, wenn sie ihn wieder sähe, sagen.
Sie hielt in ihren Gedanken inne. Sie würde ihm überhaupt nichts sagen. Sie hatte ihn einmal herausgefordert, sich seinen Empfindungen zu stellen, noch mal täte sie es nicht. Doch nicht aus verletztem Stolz. Wenn er nicht von alleine zu ihr kommen könnte, wollte sie ihn nicht.
Da der Wind aus Norden wehte, entfachte sie, als sie zurück ins Haus kam, unglücklich und durchgefroren ein Feuer im Kamin, ging, als es endlich brannte, hinüber in die Küche, und machte sich, auch wenn sie keinen Durst verspürte, einen frischen Tee. Während sie wartete, dass das Wasser kochte, räumte sie die von Connor auf dem Tisch verteilten, halb leeren Zettel auf. Er hatte auf jede Seite immer nur eine Figur gemalt, und als ihm die Blätter ausgegangen waren, auch noch die Rückseiten der Briefe voll gekritzelt, an denen sie bisher achtlos vorbeigelaufen war.
Sie goss das heiße Wasser auf den Tee und trug dann die Tasse zusammen mit den Briefen ins Wohnzimmer zurück. Früher hatte sie ihre Fanpost stets mit großer Gründlichkeit gelesen, diesen Stapel jedoch hätte sie am liebsten in den Kamin geworfen und verbrannt. Wozu sollte sie die Briefe lesen? Mit ihrer Karriere war es trotz der sicher ganz netten Schreiben endgültig vorbei.
Sie erinnerte sich an Rens erboste Reaktion auf die Bemerkung, wie klein die Menge Briefe war. »Dann geht es hei der Rettung von Seelen also um die Quantität und nicht um die Qualität?«, hatte er sie angefahren. Sie hatte den winzigen Stapel als weiteres Zeichen ihres Niedergangs gewertet, er jedoch hatte etwas völlig anderes darin gesehen.
Sie lehnte sich müde auf der Couch zurück und schloss die Augen. Die Briefe lagen warm in ihrer Hand, als wären sie lebendig, und schließlich begann sie sie zu lesen. Ihr Tee wurde kalt, ohne dass sie daran dachte. Das Feuer knisterte gemütlich im Kamin, und sie schmiegte sich tiefer ins Sofa und fing langsam an zu beten. Einen nach dem anderen hielt sie die Briefe in der Hand, betete für die Menschen, von denen sie geschrieben worden waren ...
... und schließlich für sich selbst.
Dunkelheit senkte sich über das Häuschen, das Feuer brannte tiefer, und sie flehte voller Inbrunst: Bitte, weise mir den Weg.
Als sie jedoch die Augen wieder aufschlug, war alles, was sie sah, die Reihe kolossaler Fehler, die ihr unterlaufen war.
Sie hatte mit den vier Ecksteinen des positiven Lebens gegen ihre eigene Unsicherheit gekämpft. Irgendwo in ihrem Innern sehnte sich nach wie vor das kleine Mädchen, das der Gnade unsteter Eltern ausgeliefert war, so verzweifelt nach Stabilität, dass ihm einzig ein System von strengen Regeln ein Gefühl von Sicherheit verlieh.
Tu dies und das und jenes, dann wird alles gut. Deine Adresse wird sich nicht mit jedem Monat ändern. Deine Eltern werden sich nicht so betrinken, dass sie vergessen, dich zu ernähren. Niemand wird hasserfüllte Worte schreien oder mitten in der Nacht davonlaufen und dich alleine lassen. Du wirst nicht krank werden. Du wirst nicht alt werden. Du wirst niemals sterben.
Die vier Ecksteine hatten ihr die Illusion von Sicherheit vermittelt. Wann immer etwas passiert war, was nicht in diesen Rahmen passte, hatte sie einen weiteren Stein in ihr Gedankengebäude integriert. Letztlich jedoch war das Ganze derart unhandlich geworden, dass es über ihr zusammengebrochen war. In dem Versuch, das Unkontrollierbare zu kontrollieren, hatte sie das Leben einer Verzweifelten geführt.
Sie erhob sich von der Couch und blickte in den dunklen Garten. Die vier Ecksteine des positiven Lebens verbanden Psychologie, Pragmatismus und spirituelle Weisheit. Sie hatte zu
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