Vorstadtkrokodile
Hof herum, ihr braucht euch nicht um mich zu kümmern, ich kann das schon allein.«
Aber er fuhr doch nicht weg, er blieb auf seinem Platz und sah die Krokodiler verlegen an.
»Was ist denn?«, fragte Maria.
Kurt druckste herum, sagte dann schließlich: »Ja, wie soll ich das sagen… ich muss nämlich mal… tut mir Leid.«
Jetzt aber waren die Krokodiler verlegen, einer sah den andern an, sie wussten nicht, was sie sagen, und erst recht nicht, was sie tun sollten.
»Ich hab’s doch gewusst«, rief Olaf, »jetzt haben wir die Bescherung. Piss dir meinetwegen in die Hose.«
»Du bist bescheuert«, rief Maria.
»Es geht schon«, sagte Kurt, »wenn mich jetzt zwei hochheben. Dann kann ich allein stehen, wenn mich zwei festhalten.«
Frank und Olaf hoben nach anfänglichem Zögern Kurt aus seinem Stuhl hoch. Die Bremsen waren festgemacht.
»Und jetzt?«, fragte Olaf ärgerlich.
»Jetzt muss mir einer den Hosenschlitz aufmachen und meinen Pimmel herausholen«, sagte Kurt und es war ihm anzusehen, wie peinlich ihm das war.
»Pissen kannst du dann allein, was!«, rief Olaf und die anderen lachten.
Die Krokodiler waren ratlos, wieder sah einer den anderen an. Da ging Maria plötzlich kurz entschlossen auf Kurt zu, öffnete seinen Hosenschlitz, holte seinen Pimmel heraus und Kurt konnte Wasser lassen. Als er fertig war, richtete Maria Kurts Kleidung wieder und Olaf und Frank ließen Kurt in den Stuhl zurückfallen.
Maria sah sich um und sagte resolut: »So, ihr Hasenfüße, habt ihr gesehen jetzt, so wird es gemacht…«
Die Krokodiler erwiderten nichts, nicht einmal Olaf wagte, eine große Lippe zu riskieren.
Sie machten sich wieder an die Arbeit. Sie schufteten, als müssten sie das Haus noch heute fertig stellen.
Kurt sah noch eine Weile zu, dann rollte er sich langsam aus der Trockenhalle. Maria rief ihm nach: »Fahr nicht zu weit weg! Pass auf, auf dem ganzen Hof liegen Steine herum.«
Kurt rollte, mit beiden Händen an den großen Rädern schiebend, langsam über den Hof. Er hatte wohl von seinem Fenster aus eine gute Sicht auf das Gelände, aber er hatte es noch nie ganz übersehen können, immer nur einen kleinen Ausschnitt durch das Fernglas. Er umfuhr vorsichtig die Ziegelsteine und die kaputten Dachpfannen, die überall herumlagen.
Inzwischen arbeiteten die Krokodiler in Badehosen, so heiß war es geworden. Sie wollten auch ihre Kleider schützen, um zu Hause nicht wieder lästigen Fragen ausgesetzt zu sein.
Kurt war bis in die Mitte des Hofes gerollt und sah sich um. Am Haupttor, das mit einer dicken Kette versperrt war, stand das verlassene Bürogebäude. Alles machte einen trostlosen Eindruck, ein Gelände, auf dem, wie man so sagt, sich die Füchse gute Nacht sagen. Kurt rollte sich langsam und vorsichtig auf das alte Bürogebäude zu, er war neugierig, was es da noch zu sehen oder vielleicht zu entdecken gab.
Etwa fünfzig Meter entfernt stand ein hoher Kamin, aus dessen Mauerwerk Ziegel herausgebrochen waren.
Der Kamin sah aus, als wollte er jeden Moment einstürzen.
Kurt wollte in das Gebäude, aber es gelang ihm trotz aller Anstrengung nicht, die Schwelle zu überfahren. Es war keine Tür mehr vorhanden, nur ein dunkles, viereckiges Loch. Endlich, nach mehreren Anläufen, schaffte es Kurt schließlich doch, über die Schwelle zu fahren. Im Flur war es duster, seine Augen waren noch so von der Sonne geblendet, dass er nur Umrisse wahrnahm. Er dachte, dass es vielleicht gut sein würde, einmal weiter in das Gebäude hineinzufahren.
Was er jedoch nicht sehen konnte, war, dass der Flur zur Treppe hin abfiel, und ehe er es bemerkte, setzte sich sein Rollstuhl schon von allein in Bewegung und er war so entsetzt darüber, dass er vergaß, die Bremsgriffe zu ziehen. Er schoss an eine etwa drei Meter entfernte Wand, so heftig, dass er beinahe aus seinem Stuhl herausgeschleudert worden wäre.
Benommen blieb er sitzen, und als er sich von seinem Schrecken erholt hatte, versuchte er seinen Rollstuhl zu wenden, um allein wieder ins Freie zu gelangen. Aber das Gefälle war doch zu stark, sodass er ohne fremde Hilfe nicht aus dem Haus herauskommen würde. Er blieb erschöpft sitzen und überlegte. Dann schrie er: »Hilfe! Kommt hierher! Ich bin’s! Kurt! Hilfe! Hierher!«
Kurt bekam Angst, als auf seine wiederholten Hilfeschreie keine Antwort folgte.
Die Krokodiler, die damit beschäftigt waren, Steine zu sammeln und zu schichten, bemerkten Kurts Abwesenheit
erst zwanzig Minuten später. Maria
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