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Vorstadtprinzessin

Vorstadtprinzessin

Titel: Vorstadtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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wollte bei einer Freundin übernachten, keinem fiele auf, wenn Lucky nach Feierabend nicht aus der Werkstatt nach Hause kam.
    Er fuhr ein Stück die alte Landstraße entlang, die wieder freigegeben war. Ein einziger silberblauer Streifenwagen stand noch da und kündete davon, dass in diesem Waldstück vor einer Woche eine Tote gefunden worden war. Lucky war kein Philosoph, doch irgendwas kam ihm in den Sinn vom Menschen, der wie Gras war und dem Wind, der darübergeht und alles verweht. Vielleicht hatte seine Mutter davon gesprochen, die hatte in letzter Zeit solche Anwandlungen.
    Max war eher ein Unkraut. Theos Erinnerung an ihn kam Lucky in den Sinn. Vom Tümpel, in dem der fünfjährige Theo zu versinken drohte, und von Max, der nicht aufgab, der ihn da rauszog und tröstete.
    Auf der Bramfelder Chaussee geriet Lucky in einen Stau, der sich bis Barmbek aufbaute, und er fragte sich, ob diese Fahrt wirklich eine gute Idee war. Die Wahrscheinlichkeit, dass Max dort auf St. Pauli brav in seiner Klitsche saß, bis sein Brüderchen auftauchte, war an einem schönen Frühsommerabend noch geringer als sonst.
    Er hätte mit Leni ins Lichtgrün gehen sollen. Auch ein Lokal verdiente einen zweiten Versuch und bei Leni musste man am Ball bleiben.
    Es war schon halb sieben, als er von der Reeperbahn in die Hein-Hoyer-Straße abbog und einen einigermaßen vertretbaren Parkplatz fand. Er ging in die Seilerstraße hinein und steuerte auf einen fünfstöckigen Altbau zu, der schon bessere Tage gesehen hatte. Ganz oben unterm Dach wohnte der Kumpel von Max. Lucky war hier nicht zum ersten Mal. Sein damaliger Besuch hatte einer Art Party gegolten, in der ohne Ende gekifft worden war und es ihm nicht gelang, ein einziges Bier aufzutun. Er hatte sich bald verdrückt und erst einmal ein Astra und eine Currywurst an der nächsten Bude zu sich genommen.
    Die Haustür war nur angelehnt, um nicht zu sagen, sie hing gerade noch in den Angeln. Lucky stieg die steilen Stufen hinauf, die gleich hinter der Tür anfingen, und nahm sich Stockwerk für Stockwerk vor. Die letzte Tür unter dem Dach hing leider nicht locker, sie war fest verschlossen.
    Lucky klingelte und klopfte, doch das schien hinter der Tür keinen Eindruck zu machen. Lucky war sich sicher, Schritte gehört zu haben.
    »Max Oldelev«, brüllte er, »ich bin’s. Dein geliebter Bruder.«
    Dieser Appell an die Loyalität unter Familienangehörigen schien Wirkung zu zeigen. Die Schritte näherten sich. Schlurften beinah so, wie es der alte Henze in der Kirche getan hatte. Die Tür wurde geöffnet.
    Der Anblick, der sich da bot, verschlug Lucky erst einmal die Sprache.
    »Was ist mit dir passiert?«, fragte er schließlich.
    Die Augen von Max waren nur noch Schlitze. Konnte er ihn überhaupt erkennen zwischen diesen zugeschwollenen Lidern, die lila schimmerten?
    »Kleine Meinungsverschiedenheit.« Diese deutlich hörbaren Worte ließen zumindest vermuten, dass Max noch seine Zähne im Mund hatte. Doch als er jetzt vor Lucky herging, um ihn in eines der zwei Zimmer zu führen, ging er wie ein Hundertjähriger. Henze war dagegen gelenkig, dachte Lucky.
    »Mama macht sich Sorgen.« Lucky stellte sich ans Fenster, als ob er schon nach Fluchtwegen Ausschau hielte. »Du warst seit fünf Nächten nicht zu Hause.«
    »Und da plapperst du gleich aus, wo ich mich aufhalte?«
    »Nein. Sonst würde Mama hier stehen«, sagte Lucky.
    »Sage ihr, es geht mir bestens, und ich baue gerade ein Geschäft auf.«
    »Du darfst sie nicht verarschen. Hat dein Wegbleiben mit dem Mann von der Kripo zu tun, der bei uns war?«
    »Ich habe niemanden umgebracht, falls du das meinst. Kein süßes blondes Mädchen und niemanden anders.«
    »Aber vielleicht weißt du was«, sagte Lucky.
    »Kleiner, noch ein solches Wort, und ich setze dich vor die Tür.«
    »Dazu bist du gar nicht in der Lage«, sagte Lucky.
    Er schob seine Hände in die Taschen seiner Jeans und ballte sie dort zu Fäusten. Gut verborgen. Er wollte sich nicht mit diesem Elend anlegen.
    »Komm mit mir mit«, sagte er, »das Auto steht in der Hein-Hoyer-Straße.«
    »Und du denkst, ich lege eine Ganz-Körper-Verschleierung an, und du gibst mich als deine sieche türkische Tante aus?«
    »Vor wem versteckst du dich, Max?«
    »Lass die Finger davon, Lucky. Es gibt Themen, die sind tabu.«
    Lucky drehte sich abrupt um. Ihm war zum Heulen. »Was soll ich Mama sagen?«, fragte er. »Die sitzt jede Nacht am Küchentisch und guckt sich deine Kinderfotos an

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