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Vorstadtprinzessin

Vorstadtprinzessin

Titel: Vorstadtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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die Tasche zurück. Er sah die Chefin vor dem Tor der Werkstatt stehen. Sie hielt den Kopf steif und schraubte ihren Hals zu eindrucksvoller Länge. Lucky kannte das schon. Vielleicht steigerte das ihre Hörfähigkeit.
    »Können wir das anderswo besprechen?«, fragte er. »Ich habe in einer Viertelstunde Pause.«
    Lüttich blickte zu der großen Uhr an der Werkstattwand. Er nickte.
    »Kennen Sie das Tre Castagne?«, fragte Lucky.
    »Ich kenne es«, sagte Lüttich. »Treffen wir uns dort. Doch dann gehen wir ein wenig spazieren.«

    Lucky grüßte Ellerbek, der an seiner Hecke schnitt und zu ihnen guckte. Theos Mutter stand in der Küche, doch sie sah nicht aus dem Fenster.
    Gegen zehn nach zwölf betraten Lüttich und Lucky den Wald. Bis dahin hatten sie kaum ein Wort gesprochen.
    »Sie wissen, wo Ihr Bruder ist, und Sie haben Angst«, sagte Lüttich, als sie die Hainbuchen hinter sich gelassen hatten und auf dem holprigen Weg gingen. Keine Veilchen mehr und kaum Buschwindröschen. Nur noch ein paar blau blühende Lupinen. Die Bäume standen im vollen Laub. Der Wald war zu dunkel geworden.
    »Um Viertel vor eins muss ich zurück sein«, sagte Lucky.
    »Wovor haben Sie Angst?«, fragte Lüttich.
    Lucky blieb stehen. Hier war die Stelle, an der das Absperrband von Baum zu Baum gezogen gewesen war. Erst acht Tage her, dass Theo und er hier gestanden hatten. Er drehte sich nach Lüttich um.
    »Ich habe Angst um Max. Da ist was zu groß für ihn.«
    »Und was ist das?«, fragte Lüttich.
    Lucky hob die Schultern. »Ich weiß es nicht.«
    »Wo finde ich ihn?«
    Lucky sagte dem Kommissar, wo er seinen Bruder finden würde. Er sprach stockend, doch er gab alles preis. »Er wird durchdrehen.«
    »Ich werde mich zu wehren wissen«, sagte Lüttich.
    »Er wird durchdrehen, weil ich ihn verraten habe«, sagte Lucky.
    »Sie tun das Richtige, um ihn zu retten, Lukas.« Lüttich hoffte selbst, dass das stimmte.
    Lucky sah endlos traurig aus. Er hätte gern jedes seiner Worte zurückgeholt. Er kam sich vor wie Kain, der Abel erschlug.

Die kleinen Lieder
    D ienstagabend. Ein jäher heftiger Wind hatte Wolken herangetrieben und schon schlug der Regen gegen die Kirchenfenster.
    »Aus meinen großen Schmerzen mach ich die kleinen Lieder.«
    Der Chorleiter hob bereits nach diesen ersten Takten die Hand und unterbrach die Sänger. Heinrich Heine hatte den Text geschrieben, Hugo Wolf ihn vertont. Was der Chor daraus machte, gefiel dessen Leiter wenig. Er war ein Mann, der in einer der großen Kirchen der Stadt anerkannt gewesen war und nun die Walddörfer beglücken wollte. Doch dieser Vorstadtchor verdiente ihn nicht.
    Die Stimme von Theos Mutter zitterte, als sie noch einmal die erste Zeile sangen. Diese Sorge, nicht zu genügen. Sie sah zu einem der Sänger hinüber. Hardy. Er fing ihren Blick auf und lächelte.
    »Die heben ihr klingend Gefieder und flattern nach ihrem Herzen.«
    Wäre es nicht Heine, dann würde man es Kitsch nennen, dachte Theos Mutter, doch Heinrich Heine wird es wohl humorvoll gemeint haben. War die Ironie nicht das Große an ihm?
    Tanja, die Tochter ihrer Nachbarin, sang zum ersten Mal im Chor an diesem Abend. Sie wohnte wohl wieder zu Hause. Wahrscheinlich war das Praktikum in Neumünster zu Ende. Tanja gefiel dem Chorleiter. Das sah Theos Mutter aus der zweiten Reihe des Chors.
    Ihr gefiel Hardy. Sie gefielen einander. Das hatten sie festgestellt an dem Abend beim Griechen. Nach dem Konzert. Theos Vater hatte ja keine Lust gehabt, mit zum Griechen zu kommen.
    »Sie fanden den Weg zur Trauten. Doch kommen sie wieder und klagen«, sang der Chor.
    Vielleicht durfte Tanja den Chorleiter Dankwart nennen, dachte Theos Mutter. Hardy nannte ihn so. Alle Männer taten es. Die Montagssänger, die ein eigener Chor waren und sich in einem Lokal trafen.
    Theos Mutter hatte noch nie an einen anderen Mann gedacht, seit sie vor zweiundzwanzig Jahren geheiratet hatte.
    »Und klagen und wollen nicht sagen, was sie im Herzen schauten.«
    Da war noch eine andere Unruhe in ihr. Nicht nur die, die Theos Mutter seit zwanzig Jahren so schrecklich vertraut war.

    Theo stand an seinem Fenster und guckte dem Regen zu. Er war allein im Haus. Mas Chorprobe. Pas langer Dienstag. Theo wollte sich gerade abwenden, als er Ellerbek in dessen Garten sah. Der alte Mann stand im strömenden Regen und schien Selbstgespräche zu führen.
    Ellerbek hatte eine Neigung zur Exzentrik, doch dass er sich gerne nass regnen ließ und dabei redete, war neu.

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