Vorstadtprinzessin
öffnete das Döschen und nahm zwei der Pillen heraus.
»Wir werden es gut haben«, schrieb Theo, »Leni, komm bald.«
Ma und Pa schliefen schon. Drüben bei Ellerbek war alles dunkel.
Die Welt schien friedlich zu sein. Theo saß im offenen Fenster und drehte den Feuerstein, den Pa von Hiddensee mitgebracht hatte, in seiner Hand. Dunkle und helle Flecken auf dem Stein. Sie bildeten ein Muster. Es sah irgendwie hoffnungsvoll aus.
»Dein Theo«, hatte er geschrieben.
Doch Lenis iPhone lag unter dem Kissen. Sie hörte es nicht.
»Kennst du das Märchen von Allerleirauh?«, fragte Imke Karle.
»Kommen Wölfe darin vor?«, fragte der Kommissar.
»Nein. Keine Wölfe. Aber viele Fellchen.«
»Fellchen«, sagte Lüttich.
»Kleine Felle. Und das Mädchen in der Geschichte hat goldene Haare.«
Glaubte Lüttichs Kollegin, dass der Mörder von Sarah und Hortensia ein Märchen nachspielte? Montagmorgen. Vor einer Woche war der Profiler da gewesen und hatte sie nicht wirklich weitergebracht.
»Gemeint ist dieser Wald«, hatte er gesagt.
»Eigentlich geht es darum, dass ein König seine Tochter begehrt, weil sie als Einzige so schön ist wie seine verstorbene Frau.«
»Ach du lieber Gott.« Lüttich stand vom Schreibtisch auf und goss sich einen Kaffee ein. »Inzest. Darum geht es bestimmt nicht bei unseren Morden.« Der Kaffee schmeckte schon abgestanden, obwohl es noch früh am Tage war.
»Die Tochter wünscht sich einen Mantel von tausenderlei Pelzchen. Rauhwerk eben. Darum Allerleirauh. Sie versteckt sich vor ihrem Vater in einem hohlen Baum, der natürlich im Wald steht.«
»Frau Kollegin«, sagte Lüttich, »worauf wollen Sie hinaus?«
»Dieser Fellkragen, der um Hortensias Hals hing, gehörte ihr nicht. Ein Requisit, das wahrscheinlich der Mörder hinzugefügt hat. Sarahs Mutter weiß nicht, woher die Fellstiefel stammen, die an den nackten Füßen ihrer Tochter waren. Fellchen. Kleine Felle.«
»Und was will uns der Mörder mit dem Fell sagen?«, fragte Lüttich.
Imke Karle setzte sich auf den Stuhl vor Lüttichs Schreibtisch. »Ich weiß es nicht. Es war nur so eine Idee. Hab mir Grimms Märchen am Wochenende vorgenommen.«
»Was die schon alles angerichtet haben«, sagte der Kommissar. »Kann mir nicht vorstellen, dass unser Mörder einen Fundus von Fellchen hat. Was glaubst du denn? Dass er ein Kürschner ist? Oder ein militanter Gegner von Pelzmänteln?«
»Ich kam nur darauf, weil die Königstochter Fellchen und goldene Haare hat«, sagte Imke Karle entschuldigend.
»Gibt es was Neues von diesem Doktor?«
»Die DNA ist nicht registriert.«
»Kann ich schon nicht mehr hören, den Satz«, sagte Lüttich. Er nahm sich vor, noch mal zu Max zu fahren. Der Junge war sonst so geständig, sollte er doch endlich den Namen herausrücken.
»Wie lange ist der Mord an Hortensia her?«, fragte er.
»Elf Wochen«, sagte seine Kollegin.
»Vielleicht ist es vorbei«, sagte der Kommissar.
Kleine Fluchten
T anja hatte ein ödes Wochenende hinter sich. Der heiße Feger war dabei, sich abzusetzen. Ans Handy ging er nicht. Die Nachrichten, die sie ihm hinterließ und mit HDGDL unterzeichnete, blieben ohne Antwort. Vielleicht führte er ein Doppelleben.
Theo und Lucky hatten ihr auch einen Korb gegeben am Freitagabend. Spionierten lieber im Geisterhaus herum. Das könnte sie morgen mal im Chor Theos Mutter stecken, was der liebe Sohn so trieb.
Der Chor war ein weiteres ihrer ungelösten Probleme. Dankwart dachte genauso wenig daran, ihre Nachrichten zu beantworten. Tanja trödelte durch den Ort und hoffte, ihm zu begegnen. Seit einer halben Stunde versuchte sie, diesen Zufall herbeizuführen. Hing in der Nähe seines Hauses herum und sah irritiert, dass eine Frau dort Heidekraut in die Balkonkästen pflanzte. Wer war das? Die Putzfrau?
Wie lange konnte sie sich noch herumtreiben, ohne dumm aufzufallen? Tanja hielt die Pennytüte wie einen Schild vor sich. Zwei Flaschen Cola darin. »Du, ich war gerade einkaufen«, hatte sie zu Dankwart sagen wollen, »nett, dich zu treffen.«
Sie schlich noch einmal um die Kirche herum.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich suche den Chorleiter«, sagte Tanja tapfer.
»Chorprobe ist Dienstagabend.«
Hatte der Pastor tatsächlich noch nicht mitbekommen, dass sie seit Juni im Chor sang? War wohl nicht weit her mit ihrer Bühnenpräsenz.
»Ich weiß. Ich singe im Chor«, sagte sie.
»Tut mir leid. Das hätte ich wissen sollen. Doch Konfirmandin waren Sie nicht bei mir.
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