Vorstadtprinzessin
Jan Ellerbek.
Wirklich nicht übermöbliert, der erste Stock. Anders als unten.
Theo und Lucky stiegen die Treppe zum Dachzimmer hinauf. Theo stieß die Tür auf, die halb geöffnet war. Er hatte sie geschlossen gehabt.
»Dann lass mal den Koffer sehen«, sagte Lucky.
Der Koffer war nicht mehr da. Nur noch der Abdruck, den er hinterlassen hatte, war auf dem weichen Linoleum zu erkennen.
»Bestimmt hat ihn der Typ heute Nacht mitgenommen«, sagte Theo.
Lucky ging durch das Zimmer, hockte sich hin und hob etwas auf.
»Bist du sicher, dass dein Vater noch auf Hiddensee ist?«, fragte er.
»Er kommt am Sonntag wieder«, sagte Theo. »Warum?«
Lucky öffnete langsam die geschlossene Faust. Eine Kastanie lag darin.
»Es heben noch andere Leute Kastanien auf, nicht nur mein Vater«, sagte Theo. Warum klang sein Ton abwehrend?
»Ist ja jetzt auch die Saison dafür.« Lucky steckte die Kastanie ein und trat ans Fenster. »Deine Ma ist drüben in deinem Zimmer. Kann sie mich durch die Gardinen sehen?«
»Glaub ich nicht«, sagte Theo. »Aber was tut sie in meinem Zimmer?«
»Aufräumen. Sauber machen. Das sind die Argumente meiner Mutter. Gestern hat sie noch stundenlang das Eichenbuffet poliert und jedes einzelne Foto von Max angeguckt.«
»Der alte Ellerbek hat immer gehofft, dass sein Sohn wiederkommt. Doch hier gibt es kein einziges Foto von ihm. Ist das nicht seltsam?«
»Das würde meine Mutter nicht aushalten«, sagte Lucky, »die rahmt alles, wo ihre Kinderchen drauf sind. War das hier Jans Zimmer? Die Tapete sieht eher nach alten Leuten aus.«
Theo hob die Schultern. »Vielleicht glaube ich das nur, weil ich das Zimmer unterm Dach habe.«
»Wir haben Wohnzimmer und Küche nicht durchsucht«, sagte Lucky, »da könnten doch noch Fotos von Jan Ellerbek sein. Dann erkennen wir ihn wenigstens, wenn er uns auf der Straße begegnet.«
»Der Taschenlampentyp muss mit dem steinschweren Koffer durch den Wald getürmt sein, und das in stockfinsterer Nacht«, sagte Theo. »Ich hatte stundenlang die Tür im Auge.«
»Mein Mitleid hält sich in Grenzen«, sagte Lucky, »und was jetzt? Willst du noch mal ins Wohnzimmer?«
Doch Theos Gedanken waren bei dem Koffer. Der musste etwas Besonderes enthalten, sonst wäre er kaum verschwunden. »Jedenfalls muss der Typ stark genug gewesen sein, um ihn wegzuschleppen. Fragt sich, wer das war.«
»Der alte Henze wird es kaum gewesen sein«, sagte Lucky. »Vielleicht ein Seemann. Die sind doch stark. Läuft alles auf Jan Ellerbek zu.«
»Der nur die Haustür aufschließen müsste, um hineinzuspazieren, statt Koffer, die ihm gehören, nachts durch den Wald zu schleppen.«
Sie stiegen in den Keller hinunter. Lucky hielt das Scheit noch in der Hand, als Theo die Kellertür hinter sich schloss.
Lucky legte das Stück Holz hinter die Ligusterhecke.
Kein wogender Weizen mehr. Die Felder waren abgeerntet. Die letzten kurzen Halme stachen ihn an den nackten Füßen, die in Leinenschuhen steckten. Er blieb stehen und blickte über das weite Feld.
Ganz hinten am Horizont ein Gehöft. Kein Leben weit und breit.
Das Mädchen mit den goldenen Haaren. Er hatte es lange nicht mehr gesehen. Vielleicht war das Schicksal ihr gnädig und sie blieb fern.
Konnte ihm die andere genügen?
Pa kam am Sonntagnachmittag und brachte Feuersteine mit, die er am Strand von Hiddensee gesammelt hatte, einen Sanddornlikör für Ma und Stremellachs, den sie am frühen Abend aßen.
Theos Vater war gebräunt und besser gelaunt. Er lächelte Ma an und fragte Theo, wie sich die Schule nach den Ferien gestaltete.
Ma erzählte ihm von Max. Pa machte ein Gesicht, als denke er darüber nach, ob Lucky noch der richtige Umgang für einen Abiturienten sei.
»Ich bin froh, dass Theo einen so guten Freund in Lucky hat«, sagte Ma.
Theo sah sie dankbar an. Ma hatte es also auch gemerkt.
»Lucky ist schon in Ordnung«, sagte sein Vater, »man darf ihn nicht für seinen Bruder verantwortlich machen, und der Erzeuger dieser Kinder ist wohl auch mitschuldig durch seinen Verrat an der Familie.«
Zuckte Ma leicht zusammen?
»Der Lachs ist lecker«, sagte Theo. Die Ablenkung gelang. Pa begann, einen Vortrag über das Warmräuchern von Fischen zu halten.
Nach dem Essen brach Theo auf, um sich mit Lucky auf ein Bier im Tre Castagne zu treffen. Von ihm hören, wie es gestern bei Max gewesen war. Die letzten Abende im Freien genießen. Lange konnte man wohl nicht mehr draußen sitzen.
Ein Zufall, dass er das
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