Vortex: Roman (German Edition)
Hemd mit kurzen Ärmeln, das wie eine Farbschicht am Körper klebte. Man konnte die Rippen zählen. Es war Orrin.
Ohne nachzudenken sprang sie auf und rannte aus dem Lokal; »Ma’am? Ma’am?«, rief der Junge hinter dem Tresen perplex.
»Dr. Cole«, sagte Orrin, als sie fast bei ihm war. Er schien nicht besonders überrascht, aber seine Miene war düster. »Ich habe mich verirrt. Ich wollte viel eher kommen. Sie wissen bestimmt, dass ich Turk Findley aufhalten will.« Seine Unterlippe zitterte. »Ich glaube, ich komme zu spät.«
»Nein, Orrin, hör zu, alles ist gut.« Sie war bis auf die Haut durchnässt und schlug die Arme um sich, um nicht zu zittern. »Turk ist auch hier ausgestiegen, ein, zwei Busse früher, aber Officer Bose ist ihm nachgelaufen.«
Orrin blinzelte. »Officer Bose ist bei ihm?«
»Officer Bose wird nicht zulassen, dass er Feuer legt.«
»Sind Sie sicher?«
»Ganz bestimmt. Er muss jeden Moment zurück sein.«
Es war nicht zu übersehen, dass ihm ein Stein vom Herzen fiel. »Vielen Dank, dass Sie gekommen sind!« Das Prasseln des Regens drohte seine Worte zu verschlucken. »Sie haben sicher gelesen, was ich aufgeschrieben habe.«
Sandra nickte.
»Es passiert nicht so, wie es passiert ist. Aber das kann man auch nicht verlangen.«
»Wie meinst du das?«
»Es geht nicht um einen bestimmten Pfad«, sagte er feierlich. »Es geht um die Summe aller Pfade.«
Sandra wollte ihn fragen, wovon er da redete, aber nicht hier draußen im strömenden Regen. »Komm, Orrin, wir gehen rüber. Wir warten dahinten auf Bose. Es dauert nicht lange.«
»Ja. Ich könnte einen Kaffee vertragen«, sagte Orrin.
Sandra drehte sich um, wich aber zurück, bevor sie den Fuß auf die Straße setzen konnte. Ein Wagen hielt an und versperrte ihr den Weg. Das Beifahrerfenster glitt herunter, und Sandra sah zwei Männer. Der Mann auf dem Beifahrersitz war mittleren Alters, er lächelte mit zusammengepressten Lippen. Der Fahrer hatte eine Pistole, die Hand mit der Waffe lag locker auf seinem Oberschenkel.
»Hallo, Dr. Cole«, sagte der Beifahrer. »Hallo, Orrin.«
Sandra erkannte die Stimme. Sie war wie betäubt. Sie wollte weglaufen, aber sie konnte den Blick nicht von dem Wagen abwenden. Sie stand da wie angewurzelt.
»Hallo, Mr. Findley«, sagte Orrin traurig.
»Tut mir leid, dich hier anzutreffen, Orrin. Das gefällt uns beiden nicht. Warum steigst du nicht mit Dr. Cole hinten ein, dann können wir reden.«
Der Fahrer ließ den Motor laufen, fuhr aber nicht los. Sandra hoffte inständig, dass er es nicht tun würde. Solange sie diese hässliche Straße sah, die Haltestelle, das Lokal auf der anderen Seite mit seinem warmen Licht, konnte sie darauf hoffen, mit heiler Haut davonzukommen. Aber sobald sich der Wagen in Bewegung setzte, würde er sie aus der vertrauten Welt in jenes finstere Land tragen, wo unsägliche Dinge geschahen.
Sie wusste über das finstere Land Bescheid. Wie oft hatte sie Kandidaten befragt, die regelmäßig verprügelt, missbraucht, verlassen oder erniedrigt worden waren. Sie waren Flüchtlinge aus diesem Land, und durch ihre Augen hatte sie die Weite und Leere seiner Geografie zu spüren bekommen.
Findley sah über die Schulter, sein Gesicht war zerfurcht und pockennarbig, seine Augen täuschend mild. »Einer von euch fehlt«, sagte er. »Wo steckt Officer Bose, Dr. Cole?«
Sie hätte nicht einmal antworten können, wenn sie es gewollt hätte, so trocken war ihr Mund. Alles ertrank im Regen, und sie konnte nicht einmal spucken.
»Ich höre«, sagte Findley ungeduldig.
»Ich weiß es nicht«, brachte sie heraus.
»Wie bitte?«
»Er ist nicht bei mir. Ich weiß nicht, wo er ist.«
Findley seufzte. »Sie hätten mein Angebot annehmen sollen, Dr. Cole. Es war völlig ernst gemeint. Ein zweites Leben für Ihren Bruder im Tausch gegen nichts Wichtiges. Die Sache hatte keinen Haken. Das Angebot war großzügig. Sie waren dumm.« Er hielt inne. »Da drüben auf der anderen Seite, hinter dem Container, steht sein Wagen. Also wo ist Bose, Dr. Cole?«
Sie schüttelte den Kopf.
Der Fahrer drehte sich zu ihr um. Er sah nicht aus wie ein Verbrecher. Sein Gesicht war nicht unsympathisch. Er sah aus wie ein Highschool-Englischlehrer nach einem harten Arbeitstag.
Er zeigte ihr die Waffe. Sie kannte sich mit Waffen nicht aus. Eine Pistole, ein Revolver? Es war, als wollte er sagen: Das ist die Quelle meiner Macht über dich. Als würde er Wert darauf legen, dass sie das verstand. Und dann
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