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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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Baumkrone vorbei. Es gab keinen Anhaltspunkt, der mir hätte verraten können, wie viel Zeit seit meiner Gefangennahme verstrichen war, und das war die Frage, die mich am meisten quälte. Wie weit war es bis Vox-Core und wie weit bis zum Torbogen der Hypothetischen?
    Mein Mund war trocken, aber meine Stimme funktionierte. »He!« und »Hallo!«, rief ich einige Male, ehe ich begriff, dass das Englisch war. Also schaltete ich auf Voxisch um: »Vech-e! Vech-e mi!«
    Das Rufen tat schrecklich weh, und als niemand reagierte, ließ ich es bleiben.
    Als der Wagen rumpelnd zum Stehen kam, wurde es bereits dunkel. Die ersten Sterne ließen sich blicken. Der Himmel war von einem Blau, das mich an das bunte Glas in der Kirche von Champlain erinnerte. Nicht dass ich ein großer Freund von Kirchen war, aber bunte Fenster habe ich immer gemocht, besonders sonntags, wenn das Licht der Morgensonne hindurch fiel. Ich hörte die Stimmen der Farmer; ihr Voxisch klang, als hätten sie einen Stein im Mund. Und ich roch ihr Essen, was eine wirkliche Qual war, weil ich bisher nichts bekommen hatte.
    Schließlich erschien ein Gesicht an der Seite des Wagens. Die Haut des Mannes war wie bei allen Farmern dunkel und runzlig. Abgesehen von den lebhaften Augenbrauen war er haarlos, und die Augen waren rings um die Iris gelb. Er betrachtete mich mit unverhohlener Abneigung.
    »He, du«, sagte er. »Kannst du dich aufsetzen?«
    »Ich muss etwas essen.«
    »Wenn du sitzen kannst, kannst du essen.«
    Ich brauchte einige Minuten, um meinen erschöpften Körper in eine sitzende Position zu bugsieren. Der Farmer machte keine Anstalten zu helfen; er beobachtete mich mit einem fast klinischen Interesse. Dann, als ich mit dem Rücken an der Seitenwand des Wagens lehnte, sagte ich: »Ich habe getan, was du wolltest. Also gib mir etwas zu essen. Bitte.«
    Er machte ein finsteres Gesicht und verschwand. Ich erwartete nicht, ihn wiederzusehen, aber er kam tatsächlich zurück und stellte eine Schale mit grünem Brei auf den Boden des Wagens. »Wenn du deine Hände benutzen kannst«, sagte er, »ist das für dich.« Er wandte sich ab.
    »Warte!«
    Er seufzte und sah mich an. »Was ist?«
    »Wie heißt du?«
    »Warum willst du das wissen?«
    »Nur so.«
    Er hieß Choi. Und seine Familie Digger. Ebene Drei, Ernte-Viertel. Ich nannte ihn insgeheim »Digger Choi«.
    »Und du heißt Treya. Arbeiterin, Therapeutin im Außendienst.« Er grinste spöttisch über die Core-Titel.
    »Ich heiße Allison Pearl«, hörte ich mich sagen.
    »Lügen ist zwecklos. Wir haben deine Interna ausgelesen.«
    »Allison«, beharrte ich. »Pearl.«
    »Nenn dich, wie du willst.«
    Ich streckte meine klamme Hand nach der Schale aus. Das klumpige, grüne Zeug schmeckte wie gemähtes Gras, und ich verlor jedes Mal die Hälfte, wenn ich die Hand zum Mund führte. Digger Choi blieb in der Nähe, bis ich fertig war, dann nahm er die Schale wieder an sich. Ich hatte noch Hunger, aber er verweigerte mir einen Nachschlag.
    »Behandelt man so seine Gefangenen?«
    »Wir machen keine Gefangenen.«
    »Und was bin ich dann?«
    »Eine Geisel.«
    »Ihr glaubt, ich bin so wichtig?«
    »Vielleicht. Wenn nicht, können wir dich immer noch töten.«
    Da ich mich wieder bewegen konnte, gingen die Farmer auf Nummer sicher und banden mir die Arme auf den Rücken. So ließen sie mich auch die Nacht verbringen, was in mancher Hinsicht schlimmer war als gelähmt zu sein. Am frühen Morgen dann zerrten sie mich aus dem Wagen und schleppten mich zu einem anderen, der dem ersten zum Verwechseln ähnlich sah – bis auf die Tatsache, dass sich darin Turk Findley befand.
    Während der Prozedur konnte ich mir das Lager der Farmer genauer ansehen. Wir hatten die Insel betreten, auf der Vox-Core lag, auch wenn sie hier an der Peripherie wie ein Außenposten aussah, wie eine unkultivierte Wildnis. Weit und breit kein Obstbaum, der nicht geplündert war.
    Es waren viele Farmer unterwegs, sehr viele. Eine ganze Armee. Ich schätzte um die tausend allein auf dieser grasbewachsenen Niederung und ich konnte den Rauch anderer Lager sehen. Die Farmer waren mit selbst gebastelten Klingen und Teilen von Ernte- und Dreschmaschinen bewaffnet – Waffen, die angesichts einer voll vernetzten Core-Miliz ein Witz gewesen wären, aber unter den gegebenen Umständen … Wie gesagt, waren die Farmer alle dunkel und runzlig, Nachkommen der alten marsianischen Minderheit. Digger Choi bugsierte mich durch eine Gruppe seiner Kameraden, die

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