Vortex: Roman (German Edition)
mich böse ansahen und mit Schimpfwörtern bedachten.
Der Wagen, zu dem er mich brachte, war etwas größer als der, in dem ich zuvor gelegen hatte. Von außen betrachtet sah er wie ein Kasten auf zwei Rädern aus, aus dem vorne zwei lange Stangen ragten, sodass ihn ein Tier, ein Roboter oder ein kräftiger Farmer ziehen konnte. Primitive Technik, doch nicht so primitiv, wie es den Anschein hatte. Die Wagen der Farmer waren aus intelligentem Material gefertigt, das zufällig auftretende Stöße in Schubkraft verwandelte; sie hielten automatisch Balance und machten sich die Unebenheiten des Geländes zunutze; und sie waren als Gefängniszellen zu gebrauchen, wenn der Gefangene entsprechend gefesselt war.
Turk war es, und ich war es auch. Digger Choi klappte die hintere Wand des Wagens nach unten, stieß mich hinein und schloss gleich wieder ab. Ich rollte gegen Turk, dessen Hände ebenfalls auf den Rücken gebunden waren, und einen peinlichen Moment lang bemühten wir uns um eine Position, in der wir einander ins Gesicht sehen konnten. Turk war übel zugerichtet – er hatte sich verzweifelt gewehrt, als ihn die Farmer gepackt hatten. Die linke Wange war schwarzgrün marmoriert, das Auge darüber zugeschwollen. Er sah mich schräg und ziemlich erstaunt an. Ob er gedacht hatte, ich sei tot? Gestorben, als sie mir mein limbisches Implantat aus dem Fleisch gequetscht hatten?
Ich wollte etwas Beruhigendes sagen, wusste aber nicht, wo ich anfangen sollte. Er hatte mich als Treya aus Vox-Core kennengelernt, und das war nicht einmal falsch. In gewisser Weise war ich immer noch Treya, aber eben nur in gewisser Weise.
Ich hatte zwei Vorgeschichten. Treya hatte Allison Pearl als ihre virtuelle Mentorin beschrieben, die sie auf die amerikanische Sprache und die amerikanischen Sitten des 21. Jahrhunderts geeicht hatte. »Allison Pearl« war im gewöhnlichen Sinne des Wortes nicht real. Doch nun war ich Allison – voll installiert, voll funktionstüchtig. Allison hatte das Kommando übernommen; ich war (im Jargon der Manager) psychisch ausgehärtet .
Und außerdem hatten wir noch ganz andere Probleme.
»Du lebst«, sagte Turk.
»Da könntest du recht haben.«
Er sah mich merkwürdig an. Hätte Treya das so gesagt?
»Ich dachte, sie bringen dich um. Das ganze Blut …« Es war zu einem braunen Latz auf meinem Overall getrocknet.
»Sie haben nicht mich, sondern mein Interface getötet. Der Netzknoten sitzt auf meiner Wirbelsäule, sodass er sich mit meinem Gehirn kurzschließen kann. Auch die Farmer haben Implantate, aber sie müssen sofort abgeschaltet haben, als das Netzwerk ausfiel. Sie hassen die Netzknoten, weil sie aus ihnen nützliche Werkzeuge machen.«
»Die Farmer sind also Sklaven? Ist das jetzt ein Sklavenaufstand?«
»Nein, so einfach ist es nicht.« Als Allison Pearl hielt ich nicht viel von der voxischen Gesellschaftsstruktur, doch ich hatte eine starke Sekundärerinnerung an Treyas festgefügte Loyalität. Treya hatte keinen schlechten Charakter, auch wenn sie eine Drohne war – ich wollte nicht, dass Turk in ihr eine Art Sklavenaufseher sah. »Die Vorfahren dieser Leute wurden vor Jahrhunderten gefangen genommen. Die radikalen Bionormativen, wie sie sich nannten, gehörten zur marsianischen Minderheit und verweigerten sich der Assimilation. Also machten sie einen Deal: ihr Leben im Tausch gegen landwirtschaftliche Arbeit.« Turk bedachte mich immer noch mit besorgten Blicken – das Blut auf meiner Kleidung, meine Art zu reden –, und ich dachte, dass es das Beste sei, ihm reinen Wein einzuschenken. »Man hat mir den Knoten rausgeschnitten. Treya war Übersetzerin, richtig? Jahrelang hat sie sich ihrer Sekundärperson bedient, und manches Detail über ihre Person gelangte dabei ins Netzwerk. Wir waren ineinander verwickelt, ich und Treya, aber der Knoten stellte stets sicher, dass Treya die Kontrolle hatte. Doch nun ist der Knoten weg und ich habe das Sagen. In den letzten zehn Jahren muss sie eine Menge neuralen Boden an mich abgetreten haben. Ein schwerer Fehler aus ihrer Sicht, obwohl sie beim besten Willen nicht vorhersehen konnte, dass uns ein Mob aufsässiger Farmer das Interface herausschnippeln würde.«
»Entschuldige«, sagte Turk, »aber mit wem spreche ich noch mal?«
»Allison. Ich bin jetzt Allison Pearl.«
»Okay, Allison. Und Treya ist was? Tot?«
»Das Netzwerk kann sie jederzeit wieder inkorporieren. Zurzeit aber ist sie nur eine Möglichkeit .«
Turk dachte darüber nach.
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