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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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wir vielleicht Farbe bekennen. Uns für eine Seite entscheiden.«
    Das wäre ja ein Luxus, dachte ich, sich selbst entscheiden. Aber im Moment waren all diese Fragen müßig. Wir schlangen die erbsengrüne Pampe hinunter, dann standen wir auf, um einen letzten Blick zu riskieren, bevor Digger Choi zurückkam, um uns für die Nacht zu verschnüren. Der Himmel war dunkel, und hoch oben, fast schon über uns, schimmerte der Gipfel des Bogens.
    Das Allertraurigste aber, so empfand ich es jedenfalls, war die Finsternis, in der Vox-Core lag. Mein ganzes Leben lang – Treyas Leben lang – war die Stadt im Lichterglanz erstrahlt, hatte wie durch ein riesiges, kunstvolles Sieb ihr Licht in alle Richtungen verstreut. Das Licht war ihr Pulsschlag gewesen. Und jetzt war es erloschen. Kein Funke, nichts.
    Der Angriff der Farmer, wenn es denn dazu kam, musste bald stattfinden. Bis dahin gab es nichts zu tun, als in den Himmel zu blicken, wo die Position des Torbogens unmissverständlich sagte, dass wir am kritischen Punkt der Passage waren. Der Vox-Archipel war so groß, dass ein Teil bereits durch den Bogen sein musste, aber das war egal – Vox würde entweder schlagartig passieren oder gar nicht. Ein Torbogen, das galt seit Jahrhunderten als erwiesen, glich eher einem intelligenten Filter als einem wirklichen Tor. Als dieser Bogen noch funktioniert hatte, war er imstande gewesen, zwischen einem fliegenden Vogel und einem schwimmenden Boot zu unterscheiden; imstande, das Boot von der Erde nach Äquatoria zu schicken, nicht aber den Vogel. Das ist keine einfache Entscheidung; der Torbogen war imstande, Menschen und Menschenwerk zu erkennen und die zahllosen anderen Kreaturen auszusieben, die beide Planeten bewohnten (oder bewohnt hatten). Mit anderen Worten: Einen Torbogen zu passieren war kein rein mechanischer Prozess; der Torbogen mustert dich, bewertet dich, akzeptiert oder verwirft dich.
    Und so würde es aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht zum Transit kommen. Aber ich hatte mehr Angst vor der Alternative. Noch bevor der Bogen aufgehört hatte zu funktionieren, hatte sich die Erde so sehr gewandelt, dass Turk sie nicht wiedererkennen würde. Die letzten Flüchtlinge aus den Polarstädten hatten von dramatischen Veränderungen in der chemischen Struktur der Ozeane berichtet, von Schwefelwasserstoff, der aus tödlich eutrophierten Offshore-Zonen brodelte, und von massiven Landverlusten.
    Ich schloss die Augen und glitt in den Dämmerzustand, der oft mit Schlaf verwechselt wird, wenn man erschöpft, hungrig und von Schmerzen geplagt ist. Ab und an öffnete ich die Augen und sah nach Turk, der mit nach hinten gebundenen Armen im Dunkeln lag. Er hatte weiß Gott nichts von einem Abgesandten der Hypothetischen, den Treya in ihm gesehen hatte. Er war genau das, wonach er aussah: ein Fremder, ein Entwurzelter.
    Er träumte offenbar, denn er stöhnte von Zeit zu Zeit.
    Vielleicht träumte ich auch.
    Was mich dann weckte – mitten in der Nacht –, war ein Geräusch so laut, dass es wie ein Messer durch die Finsternis schnitt. Ein kehliges Heulen, anhaltend und nicht-menschlich, aber vertraut, vertraut … Benommen, wie ich war, konnte ich es zuerst nicht einordnen, doch als ich es schließlich erkannte, spürte ich, was ich seit vielen Tagen nicht mehr gespürt hatte: Hoffnung.
    Ich stieß mit dem Fuß nach Turk. Er schlug die Augen auf und rollte sich auf den Ellbogen, blinzelte.
    »Hörst du das?«, sagte ich. »Das ist der Alarm. Der Warnruf, der Ruf in die Schutzräume.« Verzweifelt versuchte ich die voxischen Begriffe in altes Englisch zu übersetzen. »Die Luftschutzsirene !«
    Der durchdringende Klagelaut kam synchron von den höchsten Vox-Core-Türmen. Ein Angriff stand bevor – natürlich stand einer bevor. Das Wichtigste aber war: Wenn Vox-Core in der Lage war, die Sirenen in Gang zu setzen, mussten zumindest die Notstromaggregate funktionieren.
    Vox-Core lebte!
    »Und das bedeutet?«, fragte Turk schlaftrunken.
    »Eine Chance, hier rauszukommen.« Ich hievte mich auf die Knie und dann stand ich auf, um über den Rand zu blicken. Wie zuvor lag Vox-Core in Dunkelheit – doch im nächsten Augenblick fiel aus einem der nahe gelegenen Wachtürme der Strahl eines Suchscheinwerfers, strich über das baumlose Grasland und erfasste die Farmer, die Wasser in die Glut schütteten und sich hektisch für den Kampf rüsteten. Ein zweiter und dritter Scheinwerfer, dann immer mehr: Turm um Turm, Block um Block behauptete sich

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