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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
Vom Netzwerk:
genannt, weil die Hirnregionen, mit denen sie interagieren, im Neokortex liegen. Diese Gemeinwesen benutzen nominal-gestützte und logisch vermittelte kollektive Argumentation, um politische Entscheidungen zu fällen.« Turk blinzelte verwirrt, ließ mich aber netterweise weiterreden. »›Limbische‹ Demokratien wie Vox funktionieren anders: Ihre Netzwerke modulieren ältere Hirnregionen, um einen emotionalen und intuitiven Konsens – im Gegensatz zu einem rein rationalen – herbeizuführen. Kurz gesagt: In kortikalen Demokratien denken die Bürger miteinander, in limbischen Demokratien fühlen sie miteinander.«
    »Ich weiß nicht … Warum getrennte Wege? Warum keine ›kortikal-limbische‹ Demokratie? Das Beste von beiden Welten?«
    Ja, solche Versuche hatte es gegeben. Treya hatte sie in der Schule durchgenommen. Die wenigen kortiko-limbischen Demokratien hatten eine Zeit lang gut funk tioniert, ja, manche hatten sogar einen ziemlich idyllischen Eindruck gemacht. Aber sie waren äußerst instabil gewesen, waren zu einer Netzwerk-vermittelten katatonischen Endlosschleife degeneriert – eine Art Massensuizid durch glückselige Gleichgültigkeit.
    Nicht, dass es limbischen Demokratien viel besser erging, obwohl ich das nie ausgesprochen hätte. Limbische Demokratien hatten ihre eigene Schwäche: Sie neigten zu kollektivem Wahnsinn.
    Ausgenommen die unsere natürlich. Vox war in jeder Beziehung eine Ausnahme. Zumindest hatte ich das in der Schule so gelernt.
    Ich behielt also meine Sorgen für mich, in erster Linie, um Oscar nicht in die Hände zu spielen. Aber auch Turk sollte nicht den leisesten Zweifel daran haben, dass ich Allison Pearl war, Allison Pearl sein wollte und Allison Pearl bleiben würde, bis man mich festschnallen und meinem Hirnstamm einen Netzknoten aufzwingen würde.
    Doch die Sache war leider nicht so einfach.
    Die Frage, mit der ich morgens aufwachte und abends einschlief, hieß: Bin ich wirklich Allison Pearl?
    Auf den ersten Blick, nein. Wie hätte ich Allison Pearl sein können? Allison Pearl hatte vor zehntausend Jahren auf der Erde gelebt – einer damals noch bewohnbaren Erde. Alles, was von ihr geblieben war, waren ein paar versprengte Gigabyte Tagebucheinträge. Der erste stammte aus ihrem zehnten und der letzte aus ihrem dreiundzwanzigsten Lebensjahr. Treya hatte all diese Notizen verinnerlicht (mit Tausenden von Details über das Leben im 21. Jahrhundert), sowohl kortikal wie limbisch: als Daten und als Identität. Sie hatte ganz bestimmt nicht geglaubt, sie sei Allison Pearl, aber sie hatte Allison wie ein Bilderbuch tief in ihrem Gehirn getragen. Das Netzwerk hatte Allison in Treyas Psyche installiert und eine hermetische Wand zwischen ihr und Treya errichtet.
    Aber nicht hermetisch genug. Denn hier gab es ein Geheimnis, das ich bisher mit niemandem geteilt hatte: Noch bevor das Netzwerk zusammengebrochen war, noch bevor die aufständischen Farmer meinen Netzknoten entfernt hatten, war Allison immer wieder durchgesickert. Und Treya hatte nie etwas dagegen unternommen und sich auch nicht bei ihren Betreuern beklagt; sie hatte das stete Tröpfeln von Allison Pearl in ihr tägliches Leben für sich behalten – nicht ohne Gewissensbisse, denn Allison besaß Eigenschaften, um die Treya sie beneidete.
    Treya war gehorsam; Allison war trotzig. Treya war bereit, ihre Identität mit der größeren Identität von Vox zu verschmelzen; Allison wäre eher gestorben. Treya glaubte alles, was ihr gesalbte Autoritäten erzählten; Allison misstraute prinzipiell jeder Autorität.
    Doch auch das war nicht die ganze Wahrheit. Denn durch Allison hatte Treya begonnen, Skepsis, Widerstand und Auflehnung zu entdecken.
    Und so blieb die Frage: Wer war ich, jetzt da die Schotten zwischen Treya und Allison geöffnet waren? War ich Allison oder war ich Treya, die Allison war?
    Weder noch. Ich war etwas Drittes.
    Ich war, was ich aus all den inkompatiblen Teilen machte, und ich hatte ein Anrecht auf alle meine Erinnerungen, die realen wie die virtuellen. Vox hatte sowohl Treya wie auch Allison kultiviert, aber nicht mit einer Vermischung gerechnet. Scheiß auf Vox! Da war sie, die Ketzerei, der Treya immer widerstanden und um die Allison stumm gebettelt hatte: Scheiß auf Vox, scheiß auf die verkappte Tyrannei, scheiß auf die Traumreligion, scheiß auf die fixe Idee von den Hypothetischen!
    Und scheiß besonders auf den Wahnsinn, der Vox auf diese ruinierte Erde gebracht hat, und auf den noch

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