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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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größeren Wahnsinn, der sich an Bord zusammenbraute!
    Scheiß auf Vox! Und preise Allison Pearl, die es möglich gemacht hat, dass du so denken kannst!
    Auch wenn Oscar zugesagt hatte, die Operation abzublasen, hatte er es nicht aufgegeben, mich umzustimmen. Er versuchte es indirekt, indem er mich mit Menschen zusammenbrachte, denen ich mich nicht verweigern konnte – mit Freunden und Verwandten von Treya.
    Naturgemäß waren sie auch meine Freunde und Verwandten, obwohl ich nicht die Person war, die sie gekannt hatten, und schon gar nicht die Person, die ich ihrer Ansicht nach hätte sein müssen. Und da ich kein Unmensch war, taten mir ihr Unverständnis und ihr Kummer ziemlich weh.
    Eines Tages arrangierte Oscar eine Begegnung zwischen mir und meiner Mutter (Treyas Mutter). Mein Vater (mein Vox-Vater) war technischer Arbeiter gewesen und kurz nach meiner Geburt beim Zusammenbruch eines Austauschtunnels ums Leben gekommen. Ich wurde von meiner Mutter und einem Geschwader von Tanten aufgezogen, die ich alle sehr gerngehabt hatte und die mich alle sehr gerngehabt hatten. Und in mir war noch genug von Treya, um spontan die Arme auszustrecken und die Frau zu umarmen, die mich so oft getröstet hatte, und ihr in die erschrockenen Augen zu blicken, während ich ihr erklärte, nein, ihre Tochter sei nicht tot, nur verwandelt, befreit von einem zwar unsichtbaren, aber brutalen Zwang. Sie verstand es nicht. »Willst du dich nicht nützlich machen?«, fragte sie. »Weißt du nicht mehr, was es heißt, Teil einer Familie zu sein?«
    Ich wusste es nur zu gut. Ich überging die Frage und sagte ihr, dass ich sie immer noch lieb hätte. Das war nicht gelogen, doch es tröstete sie auch nicht. Sie hatte ihre Tochter verloren – und ich war nur ein eigensinniger Golem, der sie vertreten wollte. In dem Augenblick, da ich sie meiner Zuneigung versicherte, las ich in ihrem erstarrten Gesicht, dass sie mich hasste; dass sie nicht mich liebte, sondern den Schatten, den ich längst nicht mehr warf.
    Vielleicht hatte sie recht. Ich würde nie wieder die Tochter sein, die sie gekannt hatte. Ich war, was ich geworden war. Ich war, was ich war, und dieses Etwas hieß Allison, Allison, Allison Pearl . Das flüsterte ich vor mich hin, als sie das Zimmer längst wieder verlassen hatte.
    All das wollte ich von Turk fernhalten. Er hatte selbst genug Sorgen. Zwar trug er seine stoische Komme-was-da-wolle-Attitüde zur Schau, die er sich, wie ich fand, auch verdient hatte, aber letztlich war er einsam hier: ein Fremder in einem erschreckend fremden Land. Unsere Zimmer lagen nebeneinander, und in manchen Nächten wachte ich auf und hörte ihn auf und ab gehen und vor sich hin murmeln, sich Ängsten stellen, von denen ich keine Ahnung hatte. Er musste sich wie ein Mann vorkommen, der in einem Traum gefangen war, wissend, dass alles um ihn herum Einbildung war, aber unfähig, in die Realität zurückzufinden.
    Ich versuchte, meine Hoffnungen und Ängste nicht auf Turk zu projizieren, aber ich wurde den Gedanken nicht los, dass wir trotz aller Unterschiede viel gemeinsam hatten, und ertappte mich bei der Frage, ob er damals, im weit entfernten 21. Jahrhundert, womöglich Allison Pearl über den Weg gelaufen war – eine Zufallsbegegnung in einer anonymen amerikanischen Menschenmenge. Wenn jemand in Vox-Core prädestiniert war, Allison Pearl zu verstehen, dann Turk, und so überrascht es wohl nicht, dass ich in einer dieser Nächte, in der keiner von uns beiden Schlaf fand, in sein Zimmer ging, um Trost zu suchen. Zuerst redeten wir – über Dinge, über die nur wir zwei reden konnten, Dinge, die wir teilten, nicht weil, sondern obwohl wir vieles voneinander wussten. »Nichts in der Welt ähnelt dir so sehr wie ich«, sagte ich. »Und nichts ähnelt mir so sehr wie du.« Nach diesen Worten war es wohl unvermeidlich, dass wir miteinander schlafen würden – und dann scherte mich auch nicht mehr, was die Wände hörten oder wem sie ihre Geheimnisse ins Ohr flüsterten.
    2.
    Am nächsten Morgen führte ich ihn durch Vox-Core.
    Er bekam natürlich nicht die ganze Stadt zu sehen, mehr einen repräsentativen Querschnitt. Über dem Boden hatte Vox-Core die Ausmaße einer mittelgroßen Stadt des 21. Jahrhunderts, darunter, im Bauch der Insel, war die Stadt weitaus größer: Würde man alle diese komplexen Räume auseinandernehmen und auf einem zweidimensionalen Gitter platzieren, dann wäre Vox-Core so groß wie Connecticut oder gar Kalifornien. Wir mieden

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