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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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»Eutrophierung«. So etwas hatte es schon vorher gegeben, ohne menschliches Zutun – man führte so manches prähistorische Massensterben auf Phasen der Eutrophierung zurück.
    Die administrative Klasse von Vox hatte die wenigen erhaltenen Aufzeichnungen der »Terrestrischen Diaspora« studiert und entschieden, das Gebiet des letzten bekannten menschlichen Habitats aufzusuchen: in der Nähe des Südpols, an der Küste des früheren Ross-Meeres. Unterdessen sollten fliegende Roboter die Lufterkundung auf Eurasien und die beiden Amerikas ausdehnen.
    Als ich Turk davon erzählte, fragte er mich, wie lange denn die Reise zum Südpol dauern würde. Für ihn war Vox in erster Linie ein Archipel und erst in zweiter Linie ein hochseetüchtiges Schiff. Und obwohl Vox viel, viel größer war als alles, was Turk an Schiffen jemals gekannt oder sich vorgestellt hatte, war Vox tatsächlich ein Schiff, das angesichts seiner enormen Ausmaße erstaunlich wenig Tiefgang hatte und überraschend manövrierfähig war. Vielleicht zwei Monate bis zum Ross-Meer, gab ich ihm zur Antwort und versprach, bald einmal mit ihm nach unten zu gehen, um ihm die Maschinendecks zu zeigen – ein Versprechen, das ich halten wollte, aus Gründen, die ich noch für mich behielt.
    Es gab vieles, das ich noch für mich behielt – aus dem einfachen Grund, weil wir keine Privatsphäre hatten. In Vox-Core hatten die Wände Ohren. Und Augen.
    Nicht unbedingt, um die Menschen auszuspionieren. Alle diese Augen und Ohren, im Nanobereich eingebettet in die Oberflächen der Gebäude, speisten ihre Daten ins Netzwerk, das sie nach Anomalien durchkämmte und Alarm auslöste, wenn sich eine ungewöhnliche Situation anbahnte: eine Epidemie, ein technisches Versagen, ein Feuer oder auch nur eine gewalttätige Auseinandersetzung. Ich war allerdings davon überzeugt, dass man bei uns eine Ausnahme machte. Als Treya hatte ich gelernt, dass bei Aufgenommenen kein Wort und keine Gebärde zu trivial war, um nicht nach Hinweisen auf die Hypothetischen abgeklopft zu werden. Also wurden wir ganz sicher belauscht – und bestimmt nicht nur von technischen Systemen. Ich durfte nichts aussprechen, was nicht für Ohren der Administratoren bestimmt war, und das hieß, dass vieles unausgesprochen blieb. (Und selbst wenn die Administratoren nicht mithörten – der Coryphaeus tat es. Ich hatte viel über den Coryphaeus nachgedacht, aber ich wollte nicht, dass er davon erfuhr.)
    Außerdem wollte ich, dass Turk zumindest in Grundzügen über die Beschaffenheit von Vox-Core Bescheid wusste – Kenntnisse, die sich später als durchaus nützlich erweisen konnten –, und so spielte ich in den nächsten Tagen die verständnisvolle Kontaktperson und tat, wozu man Treya ausgebildet hatte, auch wenn ich nicht mehr Treya war und nie mehr Treya sein wollte.
    Ich ging mit Turk den Korridor hinunter in den Bücherraum. Dieser Raum war vor vielen Jahren für die Aufgenommenen eingerichtet worden, und er war genau das, was sein Name sagte: ein Raum, in dem ein Regal mit Büchern stand. Mit richtigen Büchern, wie Turk voller Bewunderung sagte. Bücher, die auf Papier gedruckt und gebunden worden waren, nagelneu und zugleich faszinierend archaisch.
    Solche Bücher gab es sonst nirgends auf Vox, und sie waren nur für die Aufgenommenen bestimmt. Sie handelten vor allem von der Vergangenheit und waren von Gelehrten zusammengestellt und in einfaches Englisch (und fünf andere alte Sprachen) übertragen worden. Meiner Einschätzung nach waren es durchaus zuverlässige Texte. Turk war interessiert, aber auch ziemlich eingeschüchtert von den vielen Titeln. Ich half ihm, einige Bände auszusuchen:
    Der Kollaps des Mars und die marsianische Diaspora
    Über Natur und Absicht der hypothetischen Entitäten
    Der Niedergang der terrestrischen Ökologie
    Kortikale und limbische Demokratien der Mittleren Ringwelten
    Und ein paar mehr. Genug, um ihm ein grobes Verständnis von Vox zu vermitteln und warum Vox damals im Weltenring seine Schlachten geschlagen hatte. Die Bücher, erklärte ich ihm, seien nicht so abschreckend wie ihre Titel.
    »Wirklich? Was genau sind denn ›kortikale‹ und ›limbische‹ Demokratien?«
    »Zwei verschiedene Möglichkeiten, Regierungsgewalt auf Konsens-Basis zu etablieren. Neurale Erweiterung und gemeinschaftsweite Netzwerke eröffnen viele Möglichkeiten, Entscheidungen herbeizuführen. Die meisten Gemeinwesen der Mittleren Ringwelten sind ›kortikale‹ Demokratien, so

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