Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
Vom Netzwerk:
Luft hier gestorben).
    Turk lehnte sich gegen das Sicherheitsgeländer, um besser erkennen zu können, was aus dem äußeren Bereich von Vox geworden war. Die Inseln, die nicht durch ein »Kraftfeld« gegen die Atmosphäre geschützt waren, sahen aus, als wäre dort ein grausamer, endgültiger Herbst ausgebrochen. Die Wälder waren tot, braunes Laub bedeckte den Boden, das Obst war verfault. Selbst die Äste der Bäume wirkten leprös und morsch; der Wind knickte sie einen nach dem anderen ab.
    »Vox«, sagte ich, »ich meine das kollektive Vox, das limbische Vox, hat sich quasi als erlöst gesehen, als die Passage gelungen war. Aber du hast recht: Was sie gefunden haben, ist nicht das, was sie erwartet haben, und Enttäuschung macht sich breit. Darüber müssen wir dringend reden, hier oben, wo uns niemand hören kann. Wir müssen überlegen, wie wir vorgehen.«
    Er starrte noch einen Moment lang auf das sterbende Land, dann wandte er sich mir zu. »Was meinst du, wie schlimm es wird?«
    »Wenn sich in der Antarktis kein Tor zum Paradies auftut, dann könnte es … nun, ziemlich schlimm werden. Mit der Idee, dass sich Vox und die Hypothetischen vereinen, steht und fällt alles. Aus keinem anderen Grund existiert Vox. Dieses Versprechen hat man uns von Geburt an mit auf den Weg gegeben – zusammen mit dem Netzknoten. Einwände waren nicht möglich und wären auch nicht toleriert worden. Aber jetzt …«
    »Du hast es mit einer furchtbaren Wahrheit zu tun.«
    » Sie haben damit zu tun. Ich gehöre nicht mehr dazu.«
    »Ich weiß, tut mir leid.«
    »In die Antarktis zu fahren, ist ein Akt der Verzweiflung und schiebt nur auf, was unausweichlich ist.«
    »Okay, früher oder später werden ihnen also die Augen aufgehen. Was dann? Chaos, Anarchie, Mord und Totschlag?«
    Ich war noch voxisch genug, um eine Spur von Scham zu empfinden. »Es hat andere limbische Kultgemeinschaften gegeben, und als sie gescheitert sind … Es war furchtbar. Angst und Enttäuschung schaukeln sich im Netzwerk auf – bis hin zur Selbstvernichtung. Die Menschen wenden sich gegen ihre Nachbarn, ihre Familie und schließlich gegen sich selbst.« Es gab hier niemanden, der mithörte, trotzdem senkte ich die Stimme. »Anarchie oder Massensuizid. Hungersnot, wenn die Lebensmittelversorgung zusammenbricht. Und keiner kann raus. Man kann die Prophezeiungen nicht einfach anpassen oder an etwas anderes glauben – die ›Wahrheit‹ ist fester Bestandteil des Coryphaeus.«
    Erste Anzeichen waren mir heute schon aufgefallen, unten in der Stadt: eine allgemeine Verdrossenheit, zu undeutlich, als dass Turk sie bemerkt hätte, aber deutlich genug für mich – wie leises Donnergrollen, das der Wind heranträgt.
    »Und es gibt keine Möglichkeit, uns zu schützen?«
    »Nicht wenn wir hierbleiben, nein.«
    »Und wo sollen wir hin, wenn wir hier raus sind?« Er blickte wieder auf den marmorierten Horizont und den verrottenden Wald. »Das war einmal ein wunderschöner Planet.«
    Ich stellte mich neben ihn – wir waren zum Kern der Sache gekommen. »Hör zu. Auf Vox gibt es Flugmaschinen, die ohne aufzutanken von Pol zu Pol fliegen können. Und weil du ein Aufgenommener bist, steht uns der Torbogen immer noch offen. Wir können also hier weg. Mit einem guten Plan und ein bisschen Glück schaffen wir es nach Äquatoria.«
    Und dort könnten wir uns den Gegnern von Vox stellen, jenen, die Vox-Core mit Kernwaffen angegriffen hatten, weil sie nicht wollten, dass Vox die Hypothetischen provozierte. Die kortikalen Demokratien verachteten und fürchteten Vox, aber sie würden sich hoffentlich nicht weigern, zwei Flüchtlinge aufzunehmen. Vielleicht halfen sie uns ja, von Äquatoria aus eine andere Ringwelt zu erreichen, wo wir bis ans Ende unserer Tage in Frieden leben konnten.
    Turk sah mich durchdringend an. »Und du kannst so ein Gerät fliegen?«
    »Nein«, sagte ich. »Aber du.«
    Ich erklärte ihm den Plan, den ich in den langen, schlaflosen Nächten geschmiedet hatte. Nächten, in denen Treyas Einsamkeit beinahe über Allisons Trotz gesiegt hätte, in denen sich die Grenzen von Treya und Allison berührt hatten und es mir schwer gefallen war zu sagen, wer ich wirklich war. Ich glaubte an meinen Plan, aber er verlangte ein Opfer von Turk, von dem ich nicht genau wusste, ob er dazu bereit war.
    Als er begriff, was ich von ihm wollte, gab er keine Antwort. Er müsse darüber nachdenken, sagte er. Ich war einverstanden. Ich sagte, wir könnten ja in ein paar Tagen

Weitere Kostenlose Bücher