Vortex: Roman (German Edition)
wenig Gewissenserforschung, könnte man sagen. Ich schätze meine Arbeit hier bei der State Care. Und wenn ich zurückschaue, denke ich, ich habe nicht richtig gehandelt.«
»Inwiefern?«
»Nun, ich habe meine Befugnisse überschritten. Ich hatte eine Art besitzergreifendes Interesse an Orrin Mather entwickelt und habe Ihnen vermutlich übel genommen, dass Sie den Fall einem anderen Arzt übertragen haben.«
»Ich habe Ihnen ja erklärt, warum ich das für eine gute Idee hielt.«
»Ja, Sir, jetzt sehe ich das ein.«
»Schön. Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen. Es ist Ihnen sicher nicht leichtgefallen. Mich würde allerdings interessieren, was Sie an diesem Patienten finden, Dr. Cole.« Congreve stellte die Fingerspitzen gegeneinander und sah sie mit forschendem Blick an.
»Ich finde ihn … ungewöhnlich. Wie soll ich es ausdrücken? Zerbrechlich? Verletzlich?«
»Alle unsere Patienten sind verletzlich. Deshalb sind sie hier. Darum brauchen sie unsere Hilfe.«
»Ich weiß.«
»Uns zu sehr mit ihnen zu identifizieren, ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können. Das Beste, was wir den Männern und Frauen in unserer Obhut geben können, ist absolute Objektivität. Das meinte ich, als ich sagte, Ihr Verhalten sei unprofessionell. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill?«
»Ja, Sir.«
»Und verstehen Sie jetzt, warum ich Ihnen vorgeschlagen habe, eine Auszeit zu nehmen? Wenn ein Arzt anfängt, seine eigenen Ängste auf seine Patienten zu projizieren, ist er in der Regel erschöpft oder abgelenkt.«
»Es geht mir gut, Dr. Congreve, wirklich.«
»Könnte ich das nur glauben. Gibt es vielleicht irgendetwas in Ihrem Privatleben, das ihre Arbeit beeinflusst?«
»Nichts, womit ich nicht fertig würde.«
»Bestimmt nicht? Wenn Sie darüber reden wollen, ich höre Ihnen gerne zu.«
Gott behüte! »Danke. Nein, es ist nur …« Sie seufzte. »Ehrlich, das Wetter bringt mich um. Meine Klimaanlage ist kaputt, und ich habe seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen. Und ja, die Arbeit ist auch ein bisschen viel gewesen.«
»Das geht uns allen so. Nun, ich bin froh, dass Sie sich mir doch noch anvertraut haben … Sind Sie wirklich fit genug, wieder an Ihre Arbeit zu gehen?«
»Ja, Sir. Absolut.«
»Ich kann nicht behaupten, dass wir Sie nicht brauchen könnten. Wie wäre es, wenn wir das Pensum für die nächsten zwei Wochen kürzen? Sie könnten zum Beispiel Dr. Fein betreuen – er kann von Ihrer Erfahrung nur profitieren.«
»Gerne.«
»Aber Finger weg vom Mather-Fall.«
Sie nickte.
»Was das angeht, weht uns der Wind ins Gesicht. Ich brauche etwas Formelles von Ihnen, aus dem hervorgeht, dass Sie die Akte freiwillig an Dr. Fein übergeben haben. Lässt sich das machen?«
Sie tat überrascht. »Ist das wirklich nötig?«
»Eine reine Formalität.«
»Wenn Sie meinen, es wäre hilfreich, setze ich natürlich so ein Schreiben auf.«
»Gut. In Ordnung, Dr. Cole, nehmen Sie den Rest des Tages frei und kommen Sie morgen früh wieder.« Er lächelte. »Aber pünktlich.«
»Ja, Sir.«
»Und vergessen wir die Querelen.«
Wohl kaum. »Danke, Sir. Eigentlich hatte ich gehofft, ich könnte den Rest des Tages in meinem Büro verbringen. Ich will keine Befragungen durchführen, aber ich muss noch vier oder fünf Fallberichte aufarbeiten.«
Congreve sah sie forschend an. »Ich denke, das geht in Ordnung.«
»Danke.«
»Keine Ursache. Ich muss sagen, ich weiß Ihre Haltung zu schätzen. Solange es dabei bleibt, sollten wir gut miteinander auskommen.«
»Das hoffe ich auch.«
Sandra ging in ihr Büro und fuhr ihren Computer hoch. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Sie blickte auf die Uhr. Wenn Congreve keine Besprechung oder Vorstandssitzung hatte, war er in der Regel bis spätestens sechs aus dem Haus. Sie ging ihre Dateien durch und löschte alles Persönliche. Sie war überrascht, wie weit sie sich schon von der State Care entfernt hatte – als seien diese Jahre bereits zu einem einzigen unscharfen Bild verblasst, dem Bild auf einer antiken Postkarte.
Als sie damit fertig war – es dauerte nicht lange –, zog sie einen Ausdruck von Orrins Dokument aus ihrer Tasche und begann zu lesen. Wie üblich warf der Text mehr Fragen auf, als er beantwortete.
Um halb vier stand sie auf und streckte sich. Dann machte sie die Tür auf und erschrak: Auf der anderen Seite des Flurs saß Jack Geddes auf einem Stuhl und summte vor sich hin.
»Hey, Jack«, sagte sie. »Bewachst du jetzt die
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