Vortex: Roman (German Edition)
Fuß und per Transfer unterwegs war, durchquerte ich drei Terrassen und eine Umfriedung und konnte von einer Brücke aus, die zwei Stufen überspannte, einen Blick auf eine Ebene werfen. Vox-Core kannte keine Jahreszeiten, nur einen künstlichen Zyklus von sechzehn Stunden Tag und acht Stunden Nacht, wobei jeder Sektor sein eigenes, veränderliches Tageslicht hatte. Ich überquerte eine Terrasse, deren Licht so diffus war, wie ich es von regnerischen Tagen kannte, und spazierte durch eine Umfriedung mit einer punktförmigen Lichtquelle so hell wie die Mittagssonne. Bei Einbruch der Nacht glitzerten die bewohnten Hänge wie getrennte Städte, während sich die bewaldeten und grasbewachsenen Ebenen schlafen legten.
Als ich den zerstörten Sektor der Stadt zum letzten Mal besucht hatte, war er ein unbegehbarer Trümmerhaufen gewesen. Inzwischen hatte man den größten Teil der Trümmer eingesammelt und recycelt oder ins Meer geworfen. Die verbliebene Strahlung hatte man, wie Oscar es nannte, »chelatiert« – eine Technik, die mir fremd war –, und der Wiederaufbau ging zügig voran. Den Hauptkrater hatte man allerdings nicht aufgefüllt, er sollte als Gedenkstätte erhalten bleiben; der Rand war bereits mit neuen Hängen und Landschaftsterrassen befestigt.
Wir trafen uns in einer Art Arbeiterkantine, die besagten Sektor überblickte. Das Essen war gut, aber die Portionen waren klein: Die Lebensmittel waren knapp geworden, seit man die Farmer dezimiert hatte.
Wir sprachen über Allison. Ich sagte, dass ich mir Sorgen um sie mache; ihre depressiven Schübe würden immer schwerer und immer dichter aufeinanderfolgen. Ich erwähnte ihre Weinkrämpfe, ihre regelmäßig wiederkehrenden, lähmenden Angstzustände.
»Das war vorauszusehen«, erwiderte Oscar. Er starrte von unserem Tisch aus über eine niedrige Wand in den Krater. Unter uns und achteraus schnitten Bauroboter Schaumgranitpfeiler für eine neue Terrasse zu. »Tatsache ist, sie ist nicht Allison Pearl – auch wenn ein Teil ihres Verstandes hartnäckig das Gegenteil behauptet. Und der Konflikt gefährdet ihre körperliche und seelische Gesundheit.«
»Sie will einfach nur diese Frau sein.«
»Allison Pearl ist reine Illusion, nichts als Schlussfolgerung, Synthese und Referenzdaten. Treyas Einbildung, sie sei Allison Pearl, ist ein Symptom ihres Trennungstraumas, das sie davongetragen hat, als man ihr die Verbindung zum Netzwerk geraubt hat. Ich weiß, dass Sie mit ihr sympathisieren, und ich weiß auch, warum. Sie ist ein Brückenschlag in Ihre Vergangenheit. Und genau das sollte sie ja auch sein. Das war der Hauptgrund, warum wir diese Impersona installiert haben. Aber sie ist keine Zeitreisende aus dem 21. Jahrhundert, Mr. Findley.«
»Ich weiß, aber …«
»Aber?«
»Ihre Feindseligkeit Vox gegenüber scheint ziemlich authentisch.«
Er zuckte mit den Achseln. »Man kann es ihr nicht verdenken. Die Impersona in ihren Neokortex einzupflan zen, war von Anfang an umstritten, auch wenn niemand mit einem längeren Netzwerkausfall gerechnet hat. Das hat die Pflanze zum Wuchern gebracht. Aber Treya muss sich dem Problem stellen. ›Allison Pearl‹ ist instabil. Treya braucht dringend einen neuen Netzknoten.«
Ich nickte, als seien wir uns in diesem Punkt einig. Im Krater demontierten Maschinen, die aussahen wie Tausendfüßler, die Elemente einer beschädigten Umfriedung. Ich fragte Oscar, ob es sinnvoll sei, das Viertel wiederaufzubauen, wo doch die Maschinen der Hypothetischen unterwegs seien, um uns alle in die himmlische Gemeinschaft aufzunehmen.
»Niemand weiß, was die Gemeinschaft mit den Hypothetischen konkret bedeutet. Ohne Frage werden wir alle verwandelt sein – spirituell, intellektuell, physisch. Aber wer sagt, dass wir dann keine Stadt mehr brauchen?«
»Und Sie haben keine Angst davor?«
»Als Individuum sicher. Aber als Kollektiv sind wir mutiger.«
»Es tut mir leid, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie das ist – der Knoten, das Netzwerk, der Coryphaeus …«
»Wie sie funktionieren, habe ich Ihnen beschrieben.«
»Subjektiv, meine ich. Wie fühlt sich das an?«
»Wenn Sie das Implantat meinen, die Operation ist …«
»Nicht die Operation, Oscar! Wie es sich mit Drähten im Kopf lebt.«
»Aha. Nun, da sind keine Drähte. Es sind Kernspindeln aus künstlichem Nervengewebe und Opsin-Proteinen.« Er hob die Hände, um meine Einwände abzublocken. »Nein, ich habe schon verstanden. Alles, was ich dazu sagen kann, ist:
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