Vortex: Roman (German Edition)
ich war Zeuge, wie eine Unmenge Farmer bei dem Aufstand getötet wurden. Ihr habt keine Gefangenen gemacht. Ihr habt die Überlebenden ihrem Schicksal überlassen. Ist euer kollektives Gewissen damit einverstanden?«
»Diese Entscheidungen wurden getroffen, als das Netzwerk zusammengebrochen war. Wäre der Coryphaeus intakt gewesen, hätten wir uns womöglich anders verhalten.«
»Und wie steht es mit den Farmern, die ihr als Leibeigene haltet? Nach den Geschichtsbüchern macht ihr das schon seit Jahrhunderten so.«
»Ich will nicht darüber debattieren, warum wir tun, was wir schon so lange tun. Ich gebe zu, dass es sich dabei um einen Kompromiss handelt, bei dem mir nicht wohl ist. Und Sie haben natürlich recht, wir sind nicht moralisch unfehlbar. Das behauptet auch niemand. Aber vergleichen Sie unsere Geschichte mit der Geschichte irgendeiner anderen Nation oder Kultur – Opfer für Opfer, Ungerechtigkeit für Ungerechtigkeit. Vergleichen Sie.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob Sie das wirklich wollen – angesichts der Tatsache, dass wir hier über einem Bombenkrater sitzen.«
»Nun, das passiert, wenn eine kortikale Republik ihrer radikalen bionormativen Ideologie huldigt. Vernunft brütet mehr Ungeheuer aus als das Gewissen, Mr. Findley.«
Schon möglich. Ich ließ ein paar Sekunden verstreichen. »Noch mal zu Allison«, sagte ich dann. »Wenn Treya sich operieren lässt, hat ihr Leiden dann ein Ende?«
»Es könnte eine Weile dauern, bis sie sich wieder akklimati siert hat.« Oscar sah mich forschend an. »Aber die Konflikte, die ihr so zusetzen, wären aus der Welt.«
Weiße Staubfahnen stiegen aus dem Krater und strebten Filtern im künstlichen Himmel entgegen. Fernes Hämmern drang herüber. Mir war, als baute ich so systematisch an einer Täuschung wie diese Maschinen an neuen Stufen und Terrassen. Und nun arbeitete ich am zentralen Pfeiler dieser Täuschung.
»Ich will ihr helfen«, sagte ich.
Oscar nickte ermutigend.
»Das ist nicht einfach für mich. Aber ich habe nachgedacht, seit wir da draußen in der Einöde waren.«
»Ja?«
»Ich bin nicht freiwillig hier. Hätte ich gewusst, was ich jetzt weiß, hätte ich wohl eher den Ring bereist und mir die Mittleren Planeten angesehen.«
»Ich verstehe.«
»Aber das geht nicht. Ich kann nicht ungeschehen machen, was geschehen ist, und ich kann auch nicht die Zukunft ändern. Ich lebe hier – und hier werde ich sterben.«
Oscars Augen wurden schmal.
»Und ich lebe hier mit Allison. Aber ich kann nicht mitansehen, wie sie leidet.«
»Es gibt nur eine Möglichkeit …«
»Sie muss das Implantat akzeptieren.«
»Wenn jemand sie überzeugen kann, dann sind das Sie, Mr. Findley.«
»Sie sind ein Optimist, Oscar. Aber ich will es versuchen.«
Seine Miene war undurchsichtig, berechnend, der Ausdruck eines Spielers, der eine Wette überdenkt. Vorsichtig sagte er: »Wir haben ihr die Allison-Impersona verschafft, damit sie zu Ihnen eine Beziehung aufbaut. Sie sind der Grund, warum sie sich an Allison klammert. Und Sie könnten der Grund sein, warum sie Allison aufgibt.«
Unten im Krater begannen Roboter Eisenträger zu schweißen; wie Sternschnuppen stieben die Funken von ihren Fingern.
»Vielleicht mache ich ja den Anfang«, sagte ich. »Und lasse mich freiwillig operieren.«
Jetzt wurden Oscars Augen ganz weit. Und dann stahl sich ein Lächeln in sein Gesicht.
17
SANDRA UND BOSE
Bose rief sie an, während er auf den Parkplatz einbog. Sandra packte alles, was sie nicht im Büro zurücklassen wollte – unter anderem ein paar Gigabyte an Dateien und ein Foto von Kyle, als er noch gesund war – in ihre Tasche, dann verließ sie das Zimmer.
Jack Geddes saß immer noch im Flur und hielt Wache. Er stand auf, als er sie sah. »Sie machen Schluss, Dr. Cole?«
»Gute Nacht, Jack«, sagte sie nur und schlug den Weg zum Hauptfoyer ein. Er sah ihr nach und winkte, als sie um die Ecke bog – er war ohne Frage glücklich, nicht mehr den Aufpasser spielen zu müssen.
Dank Uniform und Dienstmarke konnte Bose ungehindert die Wache passieren, die an der Aufnahme postiert war. Die nächste Hürde war die diensthabende Nachtschwester vor der geschlossenen Abteilung. Sandra ging voran.
Sie kannte die Nachtschwester nicht persönlich. Sie hieß Meredith – der Nachname wollte Sandra nicht einfallen, und auf dem Namenschild stand auch nur MEREDITH – und schien Mitte fünfzig zu sein mit einer Mit-mir-ist-nicht-gut-Kirschen-essen-Miene, die ihr so auf
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