Vortex: Roman (German Edition)
allgegenwärtige Cowboydekor und die aggressiv gute Laune der Bedienung zu ignorieren. Bis serviert wurde, war der mittägliche Ansturm vorüber und der lagerhausgroße Speisesaal angenehm still. Bose verputzte in einer Art postkoitaler Proteinflaute, wie Sandra es sah, eine Riesenportion Steak mit Eiern. Als der Kaffee kam, sagte sie: »Wir kommen wohl nie dahinter. Ich meine, was es mit Orrins Heften auf sich hat. Wo er das ganze Zeug herhat und warum er so daran hängt.«
»Es gibt verdammt viel, was wir vielleicht nie verstehen werden.«
»Er verkriecht sich, und wir … ja, was machen wir jetzt eigentlich? Was sagt denn dein Handy?«
»›Gib deine Marke zurück und geh nach Hause.‹ Stimme und Text. Wenn die wüssten wohin, hätten sie mir bestimmt Pralinen geschickt.«
»Hast du irgendwelche Pläne?«
»Lang- oder kurzfristig?«
»Hm. Langfristig.«
»Seattle. Das Wetter dort ist kühl und regnerisch.«
»Aufstehen und gehen? Einfach so?«
»Was sonst?« Er setzte seine Kaffeetasse ab. »Komm doch mit.«
Sie starrte ihn an. »Herrgott, Bose! Du machst einfach den Mund auf und sagst so was …«
»Klar, was weiß ich schon von deinem Beruf. Aber meine Freunde sind auch deine Freunde. Komm nach Seattle – vielleicht können wir dir helfen, was Passendes zu finden.«
»Das ist … Ich kann nicht …«
»Was hält dich in Houston?«
Ja, was nur? Sie hatte hier keine richtigen Freunde und keine Aussicht auf eine Stelle. »Da ist vor allem Kyle.«
»Dein Bruder, okay. Aber könnte man ihn nicht in einer Einrichtung in Washington State unterbringen?«
»Weißt du, was das für ein Papierkrieg ist?«
»Ah ja, Papierkrieg .«
»Ich meine, unmöglich ist es nicht, aber …«
Er winkte ab. »Schon gut – war ziemlich egoistisch von mir. Es sieht eben so aus, als säßen wir hier im selben Boot. Ist nicht dein Fehler. Bis ich auftauchte, lief bei dir alles bestens.«
Nein, aber das konnte er nicht wissen. »Naja – schlecht ist die Idee nicht.« Sie fügte beinahe gegen ihren Willen hinzu: »Ich lass es mir durch den Kopf gehen.« Ja, wenn nicht jetzt, wann dann? Sie war arbeitslos und befand sich im freien Fall. Sie konnte alles riskieren und riskierte so gut wie nichts. »Warum fällt dir das so leicht? Ich bin eifersüchtig.«
»Vielleicht spiele ich einfach schon lange mit dem Gedanken.«
Nein, das war es nicht. Es hatte einen tieferen Grund, es war eine Charaktereigenschaft – er verfügte über eine innere Ruhe, dass es fast schon unheimlich war. »Du bist nicht wie andere Menschen.«
»Was soll das heißen?«
»Du weißt schon. Du willst nur nicht darüber reden.«
»Gut«, sagte er und zückte die Brieftasche, »reden wir darüber, wenn Orrin aus der Stadt ist.«
Sandra brauchte frische Sachen, also überredete sie Bose, kurz bei ihr vorbeizufahren, damit sie ein paar Dinge in ihre Reisetasche werfen konnte. Kleidung natürlich, aber auch ihren Pass und ihre Sicherungsdateien. Sie hatte keine Ahnung, wann sie zurückkommen würde. Vielleicht bald. Vielleicht nie wieder. Sie sah sich ein letztes Mal um. Das Apartment kam ihr bereits unbewohnt vor – als habe es ihre Absichten durchschaut und sich schon von ihr abgewendet.
Unten wartete Bose geduldig im Auto und ließ irgendeine blecherne Schrammelmusik laufen. Sie warf ihre Tasche auf den Rücksitz und kletterte auf den Beifahrersitz. »Ich wusste gar nicht, dass du Country magst.«
»Das ist kein Country.«
»Klingt wie ein streunender Kater, der es mit einer Fiedel treibt.«
»Ein bisschen mehr Respekt bitte. Das ist klassischer Western-Swing. Bob Wills and the Texas Playboys.«
Aufgenommen mit Blechbüchse und Bindfaden, so wie es klang. »Und das hält dich in Texas?«
»Nein, aber es ist wohl das Einzige, weswegen es mir leidtut, Texas zu verlassen.« Er klopfte im Rhythmus auf das Lenkrad, als sein Handy schnurrte. Die Freisprechfunktion zeigte die Nummer des Anrufers in der linken unteren Ecke der Windschutzscheibe. »Antwort«, sagte Bose, was den Wagen veranlasste, die Musik zu unterbrechen und die Handyverbindung durchzustellen. »Ja?«
»Ich bin es«, rief eine schrille Stimme. »Ariel Mather. S ind Sie das, Officer Bose?«
»Ja, Ariel. Was ist los?«
»Es geht um Orrin!«
»Ist er wieder munter?«
»Keine Ahnung – ich weiß nicht, wo er ist. Er ist zum Cola-Automaten und nicht mehr zurückgekommen!«
»Okay«, sagte Bose. »Bleiben Sie, wo Sie sind. Wir kommen.«
Sandra bemerkte die Veränderung: Seine
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