Vortex: Roman (German Edition)
passiert bereits – früher als ich gedacht habe.«
Ich fragte nach und bereute es sofort.
»Das Ende von Vox ist nur noch eine Frage von Tagen«, sagte Isaac. »Wozu noch Vorräte anlegen. Oder Menschen ernähren, die ungehorsam sind.« Er blickte zur Seite, als könne er es nicht ertragen, uns in die Augen zu sehen. »Der Coryphaeus ist dabei, die restlichen Farmer zu töten.«
Ich glaubte es erst, als ich es mit eigenen Augen sah. Sobald Isaac fort war, nahm ich den vertikalen Transit in einen der hohen Türme und suchte mir ein Panoramafenster. Es war Nacht, der Himmel war ungewöhnlich klar, und der Mond stand strahlend hell über dem nördlichen Horizont.
Die Farmer hatten in den Hohlräumen der äußeren Inseln gelebt. Vor der Rebellion waren es dreißigtausend gewesen – danach nur noch halb so viele.
Jetzt lebte dort vermutlich niemand mehr.
Die äußeren Inseln versanken im Meer; der Coryphaeus hatte ihre Verbindungen zur zentralen Insel gekappt und ihre alten Zugangswege für das Meer geöffnet. Farmer, die womöglich in die höchsten Ränge ihrer Kavernen geklettert und dort dem anfänglichen Fluten der Inseln entgangen waren, starben, während ich zusah. Violette Schaumberge wallten auf, dort, wo das Ross-Meer die Inseln in die Tiefe zog. Geysire schos sen aus zerreißenden Transittunneln und ihren Anschlussstellen, triefende Klippen aus salzverkrustetem Granit bäumten sich auf, bevor sie in der giftigen Brühe versanken – und alles, was an die Inseln erinnerte, waren ölige Rückstände und das treibende Astwerk ihrer toten Wälder.
Ich stand fast eine Stunde dort oben, so schockiert, dass ich nicht einmal weinen konnte.
23
SANDRA UND BOSE
Sie fuhren an dem Haus vorbei, in dem Orrin anfangs gewohnt hatte. Es war ein fünfstöckiges Mietshaus ohne Fahrstuhl in einem Stadtteil, durch den man nur mit verriegelten Türen fuhr. Das Haus schien die Augen zuzumachen vor der dumpfen Gleichgültigkeit der hitzeflirrenden Straße; in der Türöffnung lagen kaputte Spritzen. In einem der Zimmer dort oben, dachte Sandra, musste Orrin an den langen Nachmittagen, bevor er zur Nachtschicht fuhr, geduldig diese Hefte vollgeschrieben haben, Seite um Seite, Tag für Tag. »Du meinst, er ist hierher zurückgekommen?«
»Nein«, sagte Bose. »Aber ich weiß nicht, wie gut Orrin sich im Rest der Stadt auskennt. Er hat vierzig Dollar in der Tasche, und ich bezweifle, ob er jemals einem Taxi gewunken hat. Er benutzt öffentliche Verkehrsmittel und wird bei der Route bleiben, die er kennt.«
»Route wohin?«
»Zum Findley-Lagerhaus.«
Also folgten sie der Busroute zum Lagerhaus, flimmernden, verstopften Straßen unter dunklen Gewitterwolken. Der Nachmittag näherte sich dem Abend, als Bose in ein Viertel mit zahllosen flachen Industriebauten einbog, die hinter leblosen, gelben Rasenflächen lagen. Kleine Manufakturen und regionale Zwischenhändler, die offenbar von der Hand in den Mund lebten.
Bose parkte an einer Ecktankstelle mit angeschlossenem Coffeeshop. »Noch weit bis zum Lagerhaus?«, fragte Sandra.
»Nur noch ein Katzensprung.«
Er schlug vor, erstmal einen Kaffee zu trinken. Das Lokal, wenn es denn den Namen verdiente, bot ein Dutzend Tische, alle unbesetzt. Die Fensterbänke waren staubig, und das grüne Linoleum schälte sich von den Wänden. Immerhin funktionierte die Klimaanlage. »Vielleicht solltest du etwas essen«, sagte Bose. »Kann sein, dass wir hier eine Weile bleiben.« Schließlich ging sie mit Muffin und Kaffee zu einem Ecktisch. Von dort aus konnte sie die Straße sehen, die lange Zeile anonymer Gebäude auf der anderen Seite und den bedrohlichen Himmel. War eines von den Gebäuden das gesuchte Lagerhaus?
Bose schüttelte den Kopf. »Das Lagerhaus ist um die Ecke und ein paar Straßen weiter, aber die nächst gelegene Haltestelle ist genau da hinten – siehst du?«
Ein rostiges Halteschild an einem dünnen Pfosten, eine Betonbank mit uralten Graffiti. »Ja.«
»Wenn er mit dem Bus kommt, steigt er hier aus.«
»Wir bleiben also einfach hier sitzen und warten?«
» Du bleibst hier sitzen. Ich sehe mich mal in der Gegend um, falls er vor uns hier war, was ich bezweifle. Er kommt nicht vor Einbruch der Dunkelheit, du wirst sehen.«
»Intuition?«
»Bist du mit dem Dokument durch?«
»Noch nicht ganz.«
»Hast du es dabei?«
»Ja, einen Ausdruck. In der Tasche.«
»Warum liest du nicht den Rest, und später reden wir darüber?«
Sie las, während Bose seine Rundfahrt
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