Vorübergehend tot
Garten und das Wäldchen ab. Er bewegte sich dabei völlig lautlos und ungeheuer anmutig. Schließlich kam er die Treppe heraufgeschwebt. Er beugte sich über etwas, das auf der vorderen Veranda lag. Der Winkel war zu spitz, ich konnte nicht sehen, was es war. Als er sich dann aufrichtete, hielt er etwas in Händen, und seine Miene war ... absolut undurchdringlich.
Das war ganz und gar kein gutes Zeichen.
Widerstrebend ging ich, um die Vordertür zu öffnen. Ich drückte auch die Fliegentür auf.
Bill hielt die Leiche meiner Katze in Händen.
„Tina?“ sagte ich und hörte, wie meine Stimme zitterte, aber das war mir völlig egal. „Ist sie tot?“
Bill nickte, eine einzige, winzige Bewegung mit dem Kopf.
„Was - wie?“
„Erwürgt, glaube ich.“
Ich spürte, wie mein Gesicht in tausend Stücke zerfiel. Bill mußte dastehen und die Leiche halten, und ich weinte mir die Seele aus dem Leib.
„Ich habe diese Virginia-Eiche noch nicht besorgt“, sagte ich dann, als ich mich ein wenig beruhigt hatte. Meine Stimme klang immer noch nicht besonders sicher. „Wir können sie in diesem Loch begraben.“ So gingen wir also in den Garten hinter dem Haus, wobei der arme Bill Tina trug und versuchte, so zu tun, als mache ihm das gar nichts aus, und ich versuchte, nicht gleich wieder zusammenzubrechen. Bill kniete nieder und legte das kleine, schwarze Fellbündel in die Grube. Ich holte die Schaufel und machte mich daran, das Loch zu füllen, aber beim Anblick der ersten Schaufel Erde, die Tinas Fell traf, löste ich mich wieder in Tränen auf. Da nahm mir Bill schweigend die Schaufel aus der Hand, und ich drehte dem Loch den Rücken zu, während er die schreckliche Arbeit beendete.
„Komm ins Haus“, sagte er, als alles erledigt war. Seine Stimme klang ganz lieb und sanft.
Wir gingen also zurück, wobei wir wieder um das ganze Haus herumgehen mußten, weil ich ja die Hintertür noch nicht aufgeschlossen hatte und wir nur durch die Vordertür gehen konnten.
Bill streichelte und tröstete mich; dabei wußte ich doch genau, daß er selbst sich nicht viel aus Tina gemacht hatte. „Gott segne dich, Bill“, flüsterte ich und hatte plötzlich schreckliche Angst, auch er könnte mir noch genommen werden, weswegen ich panisch beide Arme um ihn schlang. Erst als meine Tränen versiegt waren und nur noch ein Schluckauf übrigblieb, sah ich auf und hoffte sehr, ihn durch meinen Gefühlsausbruch nicht überfordert zu haben.
Bill war ungeheuer wütend. Er starrte auf die Wand über meinem Kopf, seine Augen glühten, und er schien mir das furchterregendste Wesen, das ich in meinem ganzen Leben je zu Gesicht bekommen hatte.
„Hast du draußen im Garten irgend etwas gefunden?“ fragte ich.
„Nein. Wohl Spuren seiner Anwesenheit: ein paar Fußabdrücke, einen Geruch, der immer noch über allem lag. Nichts, was sich vor Gericht als Beweismittel verwenden ließe“, fügte er rasch hinzu, als könne er meine Gedanken lesen.
„Würde es dir etwas ausmachen, hier zu bleiben, bis ... du dich vor der Sonne verstecken mußt?“
„Natürlich nicht.“ Er starrte mich an, was mir klarmachte, daß er ohnehin vorgehabt hatte zu bleiben, ganz egal, ob ich das gewollt hätte oder nicht.
„Wenn du immer noch telefonieren willst, dann tu das doch einfach von hier aus. Ich habe nichts dagegen.“ Damit meinte ich, daß ich nichts dagegen hatte, wenn diese Gespräche auf meiner Telefonrechnung auftauchten.
Ich wusch mir das Gesicht und nahm eine Schmerztablette, ehe ich mir das Nachthemd anzog. Ich war trauriger als je zuvor seit Großmutters Tod, aber ich trauerte anders als nach ihrer Ermordung. Natürlich fällt der Tod eines Haustiers in eine andere Kategorie als der eines Familienmitglieds, und das sagte ich mir selbst an diesem Abend sehr streng. Aber irgendwie schien diese Erkenntnis meinen schrecklichen Kummer nicht lindern zu können. Ich ging alles durch, was meiner Meinung nach meine Empfindungen hätte relativieren müssen, aber ich kam keiner vernünftigen Erwägung näher, denn ich blieb immer wieder an dem Wissen hängen, daß ich Tina vier Jahre lang gefüttert, gebürstet und liebgehabt hatte und daß sie mir fehlen würde.
Kapitel 11
Meine Nerven lagen am nächsten Tag ziemlich blank. Als ich zur Arbeit kam und Arlene erzählte, was vorgefallen war, nahm sie mich in den Arm, drückte mich kräftig und sagte: „Am liebsten würde ich das Schwein umbringen, das der armen Tina das angetan hat!“
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