Vorübergehend tot
betrachteten ihn nachdenklich. „Eigentlich ist sie gar nicht unsere richtige Tante“, erwiderte Coby dann, der offenbar sicherstellen wollte, woran er mit Bill war. „Sie ist eine gute Freundin unserer Mama.“
„Eine gute Freundin eurer Mama? Aha.“
„Ja, und sie sagt, du schickst ihr keine Blumen“, sagte Lisa, deren Stimme plötzlich glasklar und nur zu verständlich klang. Wie froh ich war, daß sie ihr kleines Problem mit der Aussprache des Buchstabens R so gut in den Griff bekommen hatte, die kleine Kröte!
Bill warf mir von der Seite her einen fragenden Blick zu, und ich zuckte die Achseln. „Sie hat mich danach gefragt“, erklärte ich ein wenig hilflos.
„Ach so ist das“, meinte Bill bedächtig. „Da werde ich mich wohl bessern müssen. Vielen Dank, daß du mich darauf hingewiesen hast. Wann hat Tante Sookie denn Geburtstag, weißt du das?“
Ich spürte, wie mein Gesicht rot wurde und ganz heiß anlief. „Bill!“ sagte ich. „Nun laß es aber gut sein.“
„Weißt du es, Coby?“ fragte Bill den Jungen.
Bedauernd schüttelte Coby den Kopf. „Aber ich weiß, daß der Geburtstag im Sommer ist. Letztes Jahr hat Mama Sookie an ihrem Geburtstag zum Mittagessen in Shreveport eingeladen, und das war im Sommer. Rene hat auf uns aufgepaßt.“
„Wie klug von dir, daß du dir das gemerkt hast, Coby“, sagte Bill.
„Ich bin noch viel klüger! Rate mal, was ich in der Schule gelernt habe!“ Damit war Coby nicht mehr zu halten.
Während Coby erzählte und erzählte, beobachtete Lisa die ganze Zeit unverwandt Bill. Als ihr Bruder endlich eine Pause einlegte, sagte sie: „Du bist ziemlich weiß, Bill.“
„Das stimmt“, erwiderte mein Vampir. „Das ist meine normale Gesichtsfarbe.“
Die beiden Kinder wechselten vielsagende Blicke. Ich wußte genau, daß sie sich schweigend darüber verständigten, daß 'normale Gesichtsfarbe' bestimmt eine Krankheit war und es unhöflich wäre, noch weiter zu fragen. Von Zeit zu Zeit können Kinder erstaunlich taktvoll sein.
Anfangs verhielt sich Bill ein wenig steif, aber er wurde immer lockerer, je weiter der Abend voranschritt. Gegen neun war ich ziemlich erschöpft und hätte das auch jedem gegenüber unumwunden zugegeben, aber Bill beschäftigte sich auch um elf, als Arlene und Rene kamen, um Lisa und Coby abzuholen, noch immer hellwach und begeistert mit den beiden Kindern.
Ich hatte meine beiden Freunde gerade Bill vorgestellt, und alle hatten einander auf völlig normale Art und Weise die Hände geschüttelt, als ein weiterer Besucher sich anschickte, auf meiner Türschwelle aufzutauchen.
Aus dem nahen Wald schlenderte ein gutaussehender Vampir mit dichtem, zu einer unglaublich hohen Welle aus der Stirn zurückgekämmtem Haar herbei. Währenddessen verstaute Arlene schon die Kinder im Auto, und Rene stand noch mit Bill zusammen und plauderte. Mein Vampir winkte dem neuen Vampir beiläufig zu, und der hob die Hand, um Bills Gruß zu erwidern und gesellte sich dann zu Rene und Bill, als ginge er davon aus, daß er erwartet wurde.
Von der Schaukel auf der vorderen Veranda aus sah ich zu, wie Bill Rene und den Neuen einander vorstellte und Mann und Vampir sich die Hand schüttelten. Rene starrte den Neuankömmling ziemlich unverblümt und mit leicht offenstehendem Mund an, und ich sah, daß er sich sicher war, den Untoten zu kennen. Bill warf Rene einen bedeutungsvollen Blick zu und schüttelte den Kopf, und Rene schloß den Mund wieder und verkniff sich den Kommentar, den er offenbar gerade hatte von sich geben wollen - was für ein Kommentar das auch immer gewesen sein mochte.
Der Neuankömmling war ein eher stämmiger Bursche und größer als Bill. Er trug eine verwaschene Jeans und ein T-Shirt mit der Aufschrift „I visited Graceland“. Die Absätze seiner schweren Stiefel waren ziemlich abgelatscht. In der Hand hielt er eine der Plastikflaschen, mit denen man sich Flüssigkeit in den Mund spritzen kann und aus der er sich von Zeit zu Zeit einen kräftigen Spritzer synthetisches Blut zuführte. Die Höflichkeit in Person, dieser Fremde!
Möglicherweise hatte mir Renes Verhalten den ersten Hinweis geliefert: Je länger ich den Vampir ansah, desto vertrauter schien er mir. Ich versuchte, ihn mir mit einer wärmeren Gesichtsfarbe vorzustellen, dem Ganzen hier und da ein paar Linien hinzuzufügen, ihn mir aufrechter stehend auszumalen und seine Gesichtszüge ein wenig zu beleben.
Grundgütiger Himmel!
Der Mann aus Memphis!
Nun wandte
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