Vorübergehend tot
aus irgendeinem Grund unhöflich zu den beiden sein sollen?“
„Rene hat Probleme, was Vampire betrifft“, erklärte Arlene kopfschüttelnd. „Ich weiß, die habe ich auch“, ergänzte sie hastig, als ich die Brauen hob. „Aber Rene hat tiefsitzende Vorurteile. Cindy war eine Zeitlang mit einem Vampir zusammen, womit Rene nur sehr schlecht umgehen konnte.“
„Wie geht es Cindy? Gut?“ fragte ich, denn ich hatte großes Interesse daran etwas über den Gesundheitszustand einer Frau zu erfahren, die einmal mit einem Vampir zusammengewesen war.
„Ich habe sie eine ganze Weile nicht gesehen“, gab sie zu, „aber Rene fährt sie etwa jede zweite Woche besuchen. Es geht ihr gut, sie hat wieder auf den rechten Weg gefunden. Sie arbeitet in einer Krankenhauskantine.“
Sam hatte hinter dem Tresen gestanden und den Kühlschrank mit Flaschenblut aufgefüllt. Nun mischte er sich in unsere Unterhaltung ein. „Vielleicht hätte Cindy ja Interesse, wieder hierher zu ziehen. Lindsey Krause, die in der anderen Schicht arbeitet, hat nämlich gekündigt, weil sie nach Little Rock zieht.“
Mit diesem Einwurf hatte Sam unser Interesse auf ein ganz anderes Thema gelenkt. Wie es aussah, verlor das Merlottes eine Kellnerin nach der anderen, und bald würden wir ernsthaft unterbesetzt sein. Minijobs schienen sich seit ein paar Monaten irgendwie nicht mehr besonders großer Beliebtheit zu erfreuen.
„Hat sich schon irgendwer beworben?“ wollte Arlene wissen.
„Ich müßte mal meine Unterlagen durchsehen“, sagte Sam und klang nicht besonders begeistert bei der Vorstellung. Arlene und ich waren die einzigen beiden Bardamen, Kellnerinnen, Serviererinnen oder wie immer man es nennen mochte, die Sam länger als zwei Jahre hatte halten können. Wobei das nicht ganz stimmte: Außer uns gab es noch Susanne Mitchell, die in der anderen Schicht arbeitete. Sam verbrachte viel Zeit damit, irgendwelche Leute einzustellen und manchmal auch damit, sie wieder hinauszuwerfen. „Könntest du nicht den Stapel mit den Bewerbungen durchgehen, Sookie, die aussortieren, bei denen du weißt, daß sie weggezogen sind oder einen anderen Job angenommen haben, und mir dann die nennen, die du mir wirklich empfehlen kannst? Das wäre eine große Zeitersparnis für mich.“
„Gern!“ erwiderte ich und erinnerte mich daran, daß ihm vor ein paar Jahren, ehe Sam dann Dawn eingestellt hatte, Arlene einmal diese Vorarbeit abgenommen hatte. Arlene und ich kannten uns viel besser aus als Sam, hatten mehr Kontakt zu Leuten in der Stadt als unser Chef, der sich nie an irgendwelchen gesellschaftlichen Aktivitäten zu beteiligen schien. Seit sechs Jahren wohnte Sam nun in Bon Temps, und ich kannte niemanden, der gewußt hätte, was für ein Leben er geführt hatte, ehe er das Merlottes erwarb.
Mit einem dicken Stapel Bewerbungsmappen ließ ich mich an Sams Schreibtisch nieder. Wenige Minuten später hatte ich ein sehr effektives System entwickelt, nach dem ich nun vorging. Ich sortierte die Bewerbungen in drei Haufen: Frauen, die weggezogen waren, Frauen, die einen anderen Job gefunden hatten, Frauen, die in Frage kamen.
Als nächstes ergaben sich ein vierter und ein fünfter Haufen: Frauen, mit denen ich nicht arbeiten wollte, weil ich sie nicht ausstehen konnte, und tote Frauen. Die erste Bewerbungsmappe auf dem fünften Stapel, dem für tote Frauen, stammte von einem Mädchen, das am vergangenen Weihnachtstag bei einem Autounfall gestorben war. Beim Anblick ihres Namens vorne auf der Mappe tat mir ihre Familie noch einmal von ganzem Herzen leid. Auf der zweiten Mappe, die ich dem fünften Haufen hinzufügte, stand der Name Maudette Pickens.
Drei Monate vor ihrem Tod hatte sich Maudette bei Sam um einen Job beworben. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, daß die Arbeit im Grabbit Kwik nicht gerade inspirierend gewesen war. Auch Maudette tat mir noch einmal furchtbar leid, als ich ihre Bewerbung überflog und sah, wie schlecht ihre Rechtschreibung, wie krakelig ihre Handschrift gewesen waren. Dann versuchte ich, mir vorzustellen, was Jason wohl zu der Ansicht bewogen haben mochte, Sex mit dieser armen Frau - und das Filmen desselben - sei eine sinnvolle Art gewesen, die Zeit zu verbringen. Erneut konnte ich nicht umhin, mich über den merkwürdigen Geisteszustand meines Bruders zu wundern. Ich hatte Jason nicht mehr zu Gesicht bekommen, seit er mit Desiree entschwunden war. Hoffentlich war er heil heimgekommen - Desiree war wirklich ein ziemlicher
Weitere Kostenlose Bücher