Vorübergehend tot
seinen Augen schien sich nichts abzuspielen. Es war, als hätte jemand Jasons Fähigkeit zur Aufnahme und Verarbeitung von Informationen gelöscht. Dann drangen meine Worte zu ihm durch, und mein Bruder sank dort, wo er gerade stand, in die Knie. Auch ich kniete mich hin, direkt ihm gegenüber. Er legte die Arme um mich, ließ den Kopf auf meine Schulter sinken, und so verharrten wir eine Weile. Jetzt waren wir die einzigen, die noch übrig waren.
Bill und Sam saßen draußen im Vorgarten in Liegestühlen, um der Polizei nicht im Wege zu sein. Auch Jason und mich bat man nach einer Weile, das Haus zu verlassen und uns auf die Veranda zu begeben. Wir beschlossen, uns lieber auch auf den Rasen zu setzen. Es war ein milder Abend. Ich saß da und sah unser Haus an, das so hell erleuchtet war wie ein Geburtstagskuchen, und sah den Menschen zu, die dort ein- und ausgingen wie Ameisen, denen man erlaubt hatte, an der Geburtstagsparty teilzunehmen. All diese Geschäftigkeit rings um das, was einmal meine Großmutter gewesen war.
„Was ist passiert?“ fragte Jason nach einer Weile.
„Ich bin von der Veranstaltung nach Hause gekommen“, sagte ich ganz langsam, „und ins Haus gegangen, nachdem ich gehört hatte, wie Sam mit dem Pick-up wegfuhr. Ich habe gemerkt, daß irgend etwas nicht stimmte. Ich habe in jedem Zimmer nachgesehen.“ Das war die offizielle Version: wie es dazu gekommen war, daß ich die Leiche meiner Oma fand. „Als ich in die Küche kam, sah ich sie.“
Jason wandte ganz langsam den Kopf, bis er mir in die Augen sehen konnte. „Erzähl.“
Ich schüttelte den Kopf und preßte die Lippen zusammen. Aber er hatte ein Recht darauf, es zu erfahren. „Jemand hat sie zusammengeschlagen. Aber sie hat versucht, sich zu wehren, das nehme ich jedenfalls an. Wer immer sie umgebracht hat, hat ihr mehrere Stichwunden zugefügt. Dann hat er sie erwürgt. So sah es jedenfalls aus.“
Bei dem, was jetzt kam, konnte ich nicht einmal meinem Bruder ins Gesicht sehen. „Es war ganz allein meine Schuld.“ Meine Stimme klang nicht lauter als ein Flüstern.
„Wie kommst du denn darauf?“ sagte Jason und klang lediglich völlig begriffsstutzig und leicht nuschelig.
„Ich glaube, daß jemand hier war und mich umbringen wollte, so wie Maudette und Dawn. Aber ich war nicht da. Statt meiner war Oma da.“
Ich konnte förmlich sehen, wie diese Überlegung langsam in Jasons Kopf einsickerte.
„Ich hatte heute abend eigentlich zu Hause sein wollen, nicht auf dem Treffen der Nachkommen. Sam hat mich in letzter Minute gebeten, mit ihm hinzugehen. Mein Auto stand vor der Tür, wie sonst auch, wenn ich zu Hause bin, denn wir nahmen Sams Pick-up. Oma hatte ihr Auto hinten geparkt, zum Ausladen, also sah es so aus, als sei sie gar nicht da. Als sei nur ich da. Oma wollte Bill nach Hause fahren, aber der wollte erst einmal mit ihr hierher kommen, um ihr beim Ausladen zu helfen. Dann ist er nach Hause gegangen und hat sich umgezogen. Als er gegangen war, da hat... wer immer es gewesen sein mag ... sie erwischt.“
„Woher wissen wir, daß es nicht Bill war?“ fragte Jason, als säße der nicht direkt neben ihm.
„Woher wissen wir von irgendwem, daß er es nicht war?“ fragte ich, und es machte mich nervös und ungeduldig, daß Jason so langsam dachte. „Jeder könnte als Täter in Frage kommen, alle, die wir kennen. Ich glaube nicht, daß Bill es war. Ich glaube nicht, daß Bill Dawn und Maudette umgebracht hat, aber ich glaube, daß derjenige, der Dawn und Maudette umgebracht hat, auch Oma umgebracht hat.“
„Wußtest du,“ fragte Jason nun, wobei seine Stimme viel zu laut klang, „daß Oma dieses Haus dir ganz allein vermacht hat?“
Es war, als hätte er mir einen Eimer kaltes Wasser mitten ins Gesicht geschüttet. Ich hatte gesehen, daß auch Sam zusammengezuckt war. Bills Augen leuchteten noch dunkler, noch eisiger.
„Nein. Ich ging immer davon aus, daß wir beide es erben würden, gemeinsam, wie das andere auch.“ Wie das Haus unserer Eltern, in dem Jason lebte.
„Sie hat dir auch das Land hinterlassen.
“Warum sagt du das? Was meinst du damit?“ Gleich würde ich wieder anfangen zu weinen, und ich war doch so sicher gewesen, überhaupt keine Tränen mehr zu haben.
„Das war ungerecht von ihr!“ schrie Jason. „Es war ungerecht, und nun kann sie das nicht mehr gutmachen.“
Nun zitterte ich am ganzen Leib. Bill zog mich aus dem Liegestuhl und führte mich im Garten auf und ab. Sam hockte sich
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