Vorübergehend tot
Veranstaltung der Nachkommen erschienen war, hatte auch nur im geringsten damit gerechnet, welch nachhaltigen Eindruck der Bericht eines Überlebenden des Bürgerkrieges hinterlassen würde. Die Anwesenden waren allesamt völlig fasziniert, und sie waren mit den Nerven am Ende, am Boden zerstört.
Nachdem Bill die letzte Frage beantwortet hatte, gab es donnernden Applaus - jedenfalls so donnernd, wie vierzig Leute applaudieren können. Selbst Sam schaffte begeistertes Händeklatschen, und er war ja nun nicht gerade Bills größter Fan.
Bis auf Sam und mich wollten alle nach der Veranstaltung gern noch ein paar persönliche Worte mit Bill wechseln. Widerstrebend fand sich der Gast damit ab, daß ihn die Nachkommen förmlich umzingelten, während ich mich mit Sam hinaus zu Sams Pick-up schlich. Wir fuhren zum Crawdad Diner, einer ziemlichen Spelunke, die jedoch über eine überraschend gute Küche verfügte. Ich hatte keinen Hunger, aber Sam bestellte sich zu seinem Kaffee ein Stück Limonenkuchen.
„Das war interessant“, leitete Sam vorsichtig die Unterhaltung ein.
„Bills Vortrag? Sehr interessant“, erwiderte ich ebenso vorsichtig.
„Empfindest du etwas für ihn?“
Nach all den Umwegen hatte Sam nun wohl beschlossen, einen direkten Angriff wagen zu wollen.
„Ja“, sagte ich.
„Sookie!“ sagte Sam, „eine solche Beziehung hat keine Zukunft.“
„Wieso das denn? Immerhin gibt es den Mann schon eine ganze Weile, und ich gehe davon aus, daß er noch ein paar hundert Jahre machen wird.“
„Man weiß nie, was einem Vampir alles widerfahren kann.“
Gegen dieses Argument ließ sich nichts einwenden. Aber ich wies Sam darauf hin, daß man genauso wenig sagen konnte, was mir, einem Menschen, alles widerfahren würde.
So ging es eine Weile zwischen uns hin und her, bis ich schließlich die Geduld verlor. „Was geht dich das eigentlich an, Sam?“
Sams sonnengegerbtes Gesicht wurde knallrot, aber seine hellen, blauen Augen hielten meinem Blick tapfer stand. „Ich mag dich. Als Freund, vielleicht aber auch als etwas anderes ... “
„Was?“
„Mir würde es einfach leid tun, wenn du eine falsche Entscheidung triffst.“
Ich sah ihn unverwandt an und konnte dabei spüren, wie sich mein Gesicht zu einer ungläubigen Miene verzog, die Brauen zusammengezogen, die Mundwinkel leicht nach oben.
„Aber sicher doch!“ sagte ich mit einer Stimme, die genau zu meinem Gesichtsausdruck paßte.
„Ich habe dich immer schon gern gehabt.“
„So gern, daß du warten mußtest, bis jemand anderes Interesse an mir zeigte, ehe du es erwähnen konntest?“
„Das habe ich wohl verdient.“ Sam schien nachzudenken. Anscheinend hatte er noch etwas sagen wollen, konnte sich dann aber doch nicht dazu entschließen.
Was immer es sein mochte: Offenbar war es ihm unmöglich, damit herauszurücken.
„Laß uns gehen“, schlug ich vor. Die Unterhaltung jetzt wieder auf neutralen Boden zu steuern würde schwer sein, und da konnte ich, dachte ich mir, genauso gut auch nach Hause fahren.
Die Rückfahrt verlief eigenartig. Irgendwie schien Sam ein paar Mal etwas sagen zu wollen, schüttelte aber jedes Mal, wenn er den Mund aufgemacht hatte, gleich wieder den Kopf und schwieg statt dessen. Das regte mich so auf, daß ich den Mann am liebsten verprügelt hätte.
Als wir bei mir zu Hause ankamen - später, als ich angenommen hatte -, brannte im Zimmer meiner Oma noch Licht, der Rest des Hauses jedoch lag im Dunkeln. Den Wagen meiner Oma sah ich nicht, also ging ich davon aus, daß sie ihn vor der Hintertür geparkt hatte, um das, was von den Erfrischungen des Abends übrig geblieben war, gleich vom Auto in die Küche tragen zu können. Für mich hatte sie das Verandalicht brennen lassen.
Sam ging um den Pick-up herum, öffnete die Beifahrertür, und ich schickte mich an auszusteigen, wobei mein Fuß jedoch leider im Dunkeln das Trittbrett verfehlte und ich praktisch aus der Fahrerkabine fiel. Sam fing mich auf. Zuerst hatte er die Arme nur ausgestreckt, um meinen Sturz abzufangen, dann aber schlang er sie um mich und küßte mich.
Ich dachte, das würde ein kleiner Gutenachtkuß werden, aber sein Mund schien den meinen nicht wieder freigeben zu wollen. Es war schön - mehr als nur schön sogar -, aber mein innerer Zensor meldete sich sofort heftig zu Wort: „Das ist dein Chef!“
Sanft löste ich mich aus der Umarmung, und Sam verstand auch sofort, daß ich lieber den Rückzug antreten wollte. Seine Hände glitten
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