Vorübergehend tot
Körpersprache zu deuten.
Sams Gedanken konnte ich nicht genau lesen, aber ich konnte sehen, daß er ungeheuer wütend war.
Jason schluchzte. Seine Gedanken waren ein verworrenes, verschlungenes, blaues Durcheinander.
Andy konnte keinen von uns leiden und wünschte sich, er könne uns Mißgeburten allesamt aus dem einen oder anderen Grund einbuchten.
Mühsam kam ich wieder auf die Beine. Ich berührte die schmerzende Stelle an meiner Wange und versuchte, mich durch diesen Schmerz von dem in meinem Herzen abzulenken, von der schrecklichen Trauer, die mich schlagartig überfiel.
Ich dachte, die Nacht würde nie zu Ende gehen.
* * *
Omas Beerdigung wurde die größte, die je in Renard Parish stattgefunden hatte. Das sagte der Pastor hinterher. Ein strahlender Frühsommerhimmel war Zeuge, wie meine Großmutter auf dem uralten Friedhof, der zwischen dem Haus der Comptons und ihrem eigenen lag, neben meiner Mutter und meinem Vater in unserem Familiengrab beigesetzt wurde.
Jason hatte Recht gehabt: Großmutters Haus war nun mein Haus. Das Haus und die 20 Morgen Land darum herum samt den dazugehörigen Schürfrechten. Großmutters Geld - das bißchen, das sie besessen hatte - war gerecht zu gleichen Teilen Jason und mir zugefallen, und Großmutter hatte verfügt, daß ich, um in den vollen Besitz ihres Hauses zu gelangen, meinem Bruder meinen Anteil an unserem Elternhaus überschreiben sollte. Das fiel mir nicht schwer, und ich wollte von Jason auch kein Geld für meine Haushälfte, auch wenn mein Anwalt nachdenklich dreingeschaut hatte, als ich ihm das mitteilte. Jason würde sich ungeheuer aufregen, wenn ich eine Bezahlung für meine Haushälfte auch nur am Rande erwähnte; die Tatsache, daß ich Mitbesitzerin dieses Hauses war, war für ihn nie recht greifbar gewesen. Es hatte ihn schwer getroffen, daß Oma mir ihr Haus einfach hatte hinterlassen können. Oma hatte ihn besser gekannt als ich.
Wie gut, daß ich außer über einen Lohn auch noch über anderes Einkommen verfügte, dachte ich düster, um an etwas anderes zu denken als an den Verlust, den ich erlitten hatte. Die Steuern für Haus und Land sowie der Unterhalt des Hauses, für den in der Vergangenheit meine Großmutter doch wenigstens zum Teil noch mitgesorgt hatte, hätten mein Einkommen ansonsten sicher arg strapaziert.
„Ich nehme an, du willst bald ausziehen“, sagte Maxine Fortenberry, als sie die Küche saubermachte. Maxine hatte gefüllte Eier und einen Schinkensalat vorbeigebracht und versuchte nun, sich noch zusätzlich nützlich zu machen, indem sie die Küche scheuerte.
„Nein!“ erwiderte ich erstaunt.
„Aber Herzchen, wo es doch hier passiert ist ...“ Maxines breites Gesicht verzog sich besorgt.
„Ich habe viel mehr gute als schlechte Erinnerungen an diese Küche“, erklärte ich.
„Was für eine schöne Art, die Dinge zu sehen!“ erwiderte Maxine überrascht. „Sookie, du bist viel schlauer, als die Leute immer denken.“
„Danke, Mrs. Fortenberry,“ sagte ich, und wenn sie hörte, daß mein Ton etwas trocken klang, dann reagierte sie nicht darauf. Vielleicht war das weise von ihr.
„Kommt dein Freund zur Beerdigung?“ Es war sehr warm in der Küche, und die schwere, quadratische Maxine wischte sich mit einem Geschirrtuch den Schweiß von der Stirn. Die Stelle, an der Großmutter gelegen hatte, war bereits von anderen Freundinnen geschrubbt worden; Gott segne sie alle.
„Mein Freund? Oh, Bill! Nein, er kann nicht.“
Maxine starrte mich verständnislos an.
„Die Beerdigung findet natürlich bei Tage statt.“
Sie verstand immer noch nichts.
„Er kann dann nicht auf die Straße.“
„Oh! Natürlich nicht.“ Sie schlug sich an die Stirn, als wolle sie andeuten daß man ihrem Verstand manchmal etwas auf die Sprünge helfen müsse. „Wie dumm von mir. Er zerfällt dann wirklich zu Asche?“
„Das behauptet er jedenfalls.“
“Ich bin froh, daß er den Vortrag für uns gehalten hat, weißt du? Seitdem gehört er doch mehr dazu.“
Ich nickte geistesabwesend.
„Diese Morde, Sookie: Die Gefühle schlagen hohe Wellen deswegen, und es wird ziemlich viel geredet. Im wesentlichen über Vampire, und daß sie für die Todesfälle verantwortlich sind.“
Ich starrte sie aus zusammengekniffenen Augen an.
„Werd jetzt bloß nicht wütend auf mich, Sookie Stackhouse! Die meisten Menschen denken sowieso, Bill könne diesen Frauen diese schlimmen Dinge gar nicht angetan haben. Weil er so nett war, uns bei der
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