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Vorübergehend tot

Vorübergehend tot

Titel: Vorübergehend tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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ihren Gedanken, ehe sie ihn aussprechen konnte und erbleichte.
    „Aber wo war Adeles Bruder, euer Großonkel? Der ist doch bestimmt noch am Leben?“
    „Wir haben keinen Kontakt mehr zu ihm“, erwiderte ich in einem Ton, der unter Garantie jedem, der sensibler war als diese Dame, den Wind aus den Segeln genommen hätte.
    „Aber ihr einziger Bruder! Bestimmt... “ Da endlich versagte ihr die Stimme, denn nun hatte sie wohl mitbekommen, daß Jason und ich sie so merkwürdig ansahen.
    Auch vorher schon hatte es ein paar Kommentare zur Abwesenheit unseres Onkels Bartlett gegeben, wir hatten jedoch ganz deutlich signalisiert, dies ginge nur die Familie etwas an, woraufhin niemand eine Nachfrage riskiert hatte. Lediglich diese Frau - wie hieß sie nur? - hatte unsere Signale nicht aufgefangen. Ich beschloß auf der Stelle, den Taccosalat, den sie mitgebracht hatte, wegzuwerfen, sobald die Dame aus dem Haus war.
    „Mitteilen müssen wir es ihm aber“, sagte Jason ruhig, nachdem die Frau uns allein gelassen hatte. Rasch richtete ich meinen Schutzwall auf: Ich hatte wirklich kein Bedürfnis danach, jetzt seine Gedanken zu hören.
    „Rufst du ihn an?“ fragte ich.
    „Gut“, erwiderte er.
    Mehr sagten wir an diesem Tage nicht zueinander.

       Kapitel 6
    Nach der Beerdigung blieb ich noch drei Tage zu Hause. Das war zu lang; es wäre besser für mich gewesen, wieder arbeiten zu gehen. Aber mir fielen ständig Sachen ein, die ich unbedingt erledigen mußte oder bei denen ich mir einredete, ich müsse sie dringend erledigen. Ich räumte das Zimmer meiner Oma aus. Arlene kam, um mich zu besuchen, und ich bat sie, mir dabei behilflich zu sein. Ich hätte es nicht ertragen, allein all diese so unendlich vertrauten Dinge auszusortieren, die immer noch Großmutters ganz persönlichen Duft nach Johnsons Babypuder und Antiseptikum verströmten.
    Also half mir meine Freundin Arlene, alles zusammenzupacken und dem Roten Kreuz zu spenden. Wenige Tage zuvor hatten ein paar Tornados das nördliche Arkansas heimgesucht, und irgendwer, der alles verloren hatte, würde bestimmt etwas mit der Kleidung meiner Großmutter anfangen können. Oma war kleiner und dünner gewesen als ich und hatte auch einen ganz anderen Geschmack gehabt. Außer ihrem Schmuck wollte ich nichts behalten. Nicht, daß sie je viel Schmuck getragen hatte, aber ihre wenigen Stücke waren alle echt und für mich ungeheuer wertvoll.
    Es war ziemlich erstaunlich, was Großmutter in ihrem Zimmer alles hatte unterbringen können. An den Speicher mochte ich jetzt noch nicht denken. Damit würde ich mich später befassen, im Herbst, wenn dort oben wieder erträgliche Temperaturen herrschten und ich Zeit zum Nachdenken gehabt hatte.
    Letztlich warf ich wahrscheinlich mehr weg, als ich hätte wegwerfen sollen, aber die Arbeit sorgte dafür, daß ich mich stark und tüchtig fühlte, und so beließ ich es nicht bei halben Sachen. Arlene faltete und packte, wobei sie nur Briefe, Dokumente, Fotos, Rechnungen und entwertete Schecks beiseite legte. Meine Großmutter hatte in ihrem ganzen Leben keine Kreditkarte besessen, noch hatte die gute Seele je etwas auf Raten gekauft, was es viel einfacher machte, ihre Angelegenheiten endgültig abzuwickeln.
    Arlene erkundigte sich nach dem Auto meiner Oma. Der Wagen war fünf Jahre alt und hatte nicht besonders viele Kilometer auf dem Tacho. „Verkaufst du dein Auto und behältst das von deiner Oma?“ wollte Arlene wissen. „Dein Wagen ist neuer, aber er ist auch recht klein.“
    „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht“, antwortete ich, und da merkte ich, daß ich über diese Frage auch noch gar nicht nachdenken konnte. Es gelang mir gerade mal, Omas Schlafzimmer auszuräumen. Mehr schaffte ich nicht.
    Als sich der Nachmittag seinem Ende zuneigte, enthielt das Zimmer nichts mehr, was an Oma erinnerte. Arlene und ich wendeten die Matratze, und dann bezog ich aus reiner Gewohnheit das Bett neu. Es war ein altmodisches, im Reismusterstil gehaltenes Himmelbett. Ich hatte die Schlafzimmermöbel meiner Oma immer schon wunderschön gefunden; nun wurde mir mit einem Mal bewußt, daß sie jetzt mir gehörten. Ich konnte jederzeit ins große Schlafzimmer ziehen. Dann hätte ich auch mein eigenes Badezimmer und bräuchte nicht mehr über den Flur zu gehen.
    Plötzlich wollte ich genau das tun: umziehen. Die Möbel in meinem Zimmer waren nach dem Tod meiner Eltern aus deren Haus hierher geschafft worden; es waren die Möbel eines

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