Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
Füchsin schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht tatenlos zusehen und dich sterben lassen.«
Kralle lachte. »Das können die jungen Leute nie.«
»Das Lager ist wirklich nicht weit weg. Geh wenigstens noch so weit mit mir. Ich helfe dir …«
»Nein, Kind«, sagte Kralle entschieden. »Geh jetzt, laß mich allein. Ich weiß zu schätzen, was du für mich tun willst, aber es ist der falsche Weg. Ich habe getan, was mir auf dieser Welt zu tun bestimmt war. Geh und suche deinen Träumer, Mädchen. Blick nach vorne in die Zukunft.«
Tanzende Füchsin schloß die Augen. Sie setzte sich neben die alte Frau und nahm deren Hand in die ihre. »Ich … ich bleibe. Ich leiste dir Gesellschaft. Schütze dich vor …«
»Geh«, flüsterte Kralle zärtlich. »Es kann tagelang dauern. Du kommst zu spät zu deinem Träumer.«
»Ich finde ihn auch später noch. Laß mich bei…«
»Füchsin?«
»Hmmm?«
»Was diesen Träumer angeht. Du hast nie einen wirklichen Träumer gekannt, und ich fürchte …«
»Ich sah Der im Licht läuft nach dem Wolfstraum. Und ich war mit Krähenrufer verheiratet.«
»Das ist nicht dasselbe.«
»Was willst du mir sagen?« fragte sie beklommen.
Kralle seufzte. Ihre Lungen keuchten vernehmlich. »Die alten Großen Träumer, die richtigen … Also, ich kannte keinen, der verheiratet war.«
»Ich verstehe nicht.«
Kralle biß sich auf die Unterlippe. »Das habe ich befürchtet. Ich habe nie viel zu deiner Leidenschaft zu Der im Licht läuft gesagt, mein Kind. Aber wenn er wirklich bei Reiher geblieben ist, wirst du ihn wohl nicht mehr wiedererkennen.«
»Ich erkenne ihn immer wieder. Ich kenne ihn, seit ich …«
»Das meinte ich nicht.« Kralle lehnte den Kopf an den Fels und richtete die alten Augen traurig hinauf zum Himmel. »Füchsin, Träume verändern die Menschen. Dabei geschieht etwas in ihren Köpfen. Sie verlieren das Interesse an weltlichen Dingen. An Freunden und besonders an geliebten Menschen.«
»Aber ein Träumer ist auch nur ein Mensch. Ich meine, Krähenrufer unterschied sich in nichts von…
«
»Pah!« zischte Kralle. »Krähenrufer? Er ist kein Träumer. O ja, vor Jahren hat er ein paar winzige Erleuchtungen gehabt, die ihm in den Kopf gestiegen sind und ihn größenwahnsinnig gemacht haben.
Doch hat er die Gabe gleich wieder verloren.«
Tanzende Füchsin drückte die Hand der Alten und lenkte die Unterhaltung wieder auf Der im Licht läuft. »Was ist mit Licht, Großmutter?«
»Wirkliche Träumer verlieren das Interesse an allem außer an ihren Träumen. Niemand weiß, warum, aber so ist es nun einmal. Sie lassen viele gebrochene Herzen zurück.«
Tief atmete Tanzende Füchsin die kalte Nachtluft ein. Eine bleischwere Last legte sich auf ihre Brust.
»Willst du damit sagen, daß er mich nicht mehr haben möchte?«
»Ja.«
Tanzende Füchsin kämpfte gegen die Tränen an. Trotz ihrer Angst murmelte sie beharrlich: »Er wird da sein. Er wartet auf mich, ich weiß das.«
Ein weißer Schimmer tauchte am Horizont auf. Mondfrau begann ihren Weg über den Himmel. »Er kam nicht zur Erneuerung. Weißt du, warum?«
»Er konnte nicht. Er war beschäftigt.«
»Wenn er dich hätte sehen wollen, wäre er gekommen. Er blieb bei Reiher, weil ihm das Träumen wichtiger war.«
»Warum hast du mir das damals nicht gleich gesagt? Dann hätte ich mich darauf vorbereiten können.«
»Ich wollte dir nicht noch eine Last aufbürden. Rabenjäger hat dir genug Sorgen gemacht. Und … ich dachte, ich könne dabei sein, wenn du Der im Licht läuft wiedersiehst und dir in deiner Enttäuschung beistehen. Ich wußte nicht, daß es mit mir so schnell zu Ende gehen würde.«
»Ich kann einfach nicht glauben, daß er …« Sie schüttelte den Kopf. Hoffnung und Vorfreude mischten sich mit dunklen Ahnungen. All die langen Monate der Leiden und Einsamkeit. Nur seine Liebe hatte sie aufrechterhalten.
Kralle schluckte. In der Stille der Nacht hörte sich das Geräusch ungewöhnlich laut an. »Ist das dasselbe Mädchen, das so hart an sich gearbeitet hat? Das unbedingt unabhängig werden wollte?
Du bist stärker, als du glaubst. Komm wieder auf die Erde. Nur Vögel leben in den Lüften.« Ihr magerer Zeigefinger wies hinauf zum kristallklaren Nachthimmel.
Tanzende Füchsins Herz schlug, als wolle es zerspringen. »Er will mich nicht mehr, und du verläßt mich. Ich will nicht allein sein. Ich brauche..«
»Niemanden brauchst du. Mach dir doch nichts vor. Du redest dir das nur ein wie die
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