Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
nur noch den Weg.«
Sie hatten ihn bis zu den Ausläufern des Eises begleitet und ihm zwei Hunde mitgegeben. Doch schon bald waren die Hunde in die im Eis verborgenen Spalten gestürzt. Zwar hatte er aus ihren Fehlern gelernt, aber das Eis jagte ihm dennoch entsetzliche Angst ein mehr noch als die Qual in Reihers verlöschenden Augen.
Das Dörrfleisch reichte noch für zwei Tage.
Stille. Sie weckte ihn aus tiefem Schlaf. Wachsam, vorsichtig setzte er sich auf, blinzelte in das graue Licht und versuchte, sich fester in seine Decken zu hüllen.
»Verrückt«, flüsterte er. »Ich bin verrückt geworden. Höre ich die Stille?« Er lachte über sich selbst.
»Höre ich endlich doch noch die Stille.«
Er stand auf und schlug sich mit den eisverkrusteten Fäustlingen auf den Mund. Laut schrie er: »Ich bin verrückt! Wahnsinnig! Hörst du mich, Sonnenvater? Hörst du mich, Volk der Sterne? Seht her!
Wahnsinnig, wie?« Er starrte über die endlose, abenteuerlich geformte Eislandschaft und senkte die Stimme zu einem leisen Flüstern: »Wahnsinnig.«
Schweigen. Kein Wind. Er lachte in sich hinein, schüttelte den Kopf. Das Knurren seines leeren Magens klang laut durch die Stille der Dämmerung. Hinter ihm erhob sich eine steile Eiswand, auf beiden Seiten eingerahmt von schützenden, sich himmelwärts erstreckenden Platten aus körnigem Eis.
Wo war der Weg? Gähnend blickte er in die unendliche, öde Weite. Ein Wunderland aus …
Ein Schrei hallte durch die kristallklare Luft und erstarb zitternd irgendwo in der Ferne.
»Wolf?«
Wieder durchdrangen die unheimlichen Laute das Eis, verschwommen, von sehr weit her.
Da. Dort entlang. Er prägte sich die hervorstechendsten Formen des Eises für den Rückweg ein und machte sich auf den Weg. Der glatte Schaft des Speeres diente ihm als Stock. Vor jedem Schritt stach er damit suchend in den Schnee. Eine dünne Schneebrücke über einer Spalte gab unter dem Druck des Stockes nach und brach. Er konnte sich gerade noch abfangen.
Zurück. Nimm eine andere Route, meide die Spalten. Schritt für Schritt, Griff für Griff Gefahr.
Ich habe alles verloren. Mir blieb nichts. Reiher, du hast dich von der Liebe töten lassen. Tanzende Füchsin? Ich brauche dich. Aber darf ich dich lieben?
Plötzlich bewegte sich das Eis. Er erstarrte, wagte kaum zu atmen. Unter ihm ertönte ein drohendes Mahlen. Einen endlosen Augenblick verharrte er regungslos mit ausgestreckten Armen, die Hände verkrampft in den Rand der Eisplatte, die er gerade überquerte. Das Grollen verklang.
»Geister …« Er seufzte. Erleichtert fühlte er die Wärme in seine Adern zurückströmen. Vorsichtig streckte er eine Hand aus. Noch ein Schritt. Langsam kletterte er von der Eisscholle auf eine andere, nicht weniger unsichere und gefährliche Platte, die in einer waghalsigen Schräge zu einer hochaufragenden Eiswand stand.
Schritt für Schritt arbeitete er sich vor. Er schlitterte, rutschte, fing sich im letzten Moment und kroch den abschüssigen Hang hinunter. Kaum war er unten angekommen, entglitten ihm seine Speere und fielen klappernd auf das Eis. Er konnte sie nicht mehr festhalten.
»Kommt näher, Geister. Hört ihr? Diesmal wart ihr bereits näher. Kommt schon! Kommt und holt mich!«
Keuchend vor Angst, mit wild hämmerndem Herzen, bückte er sich nach den Speerschäften.
Taumelnd vor Schwäche überprüfte er jede einzelne Speerspitze. Erst als er feststellte, daß seine Waffen unbeschädigt waren, beruhigte er sich ein wenig. Er setzte seinen Marsch fort und wartete auf den langen heiseren Schrei, den er vorher gehört hatte.
Sonnenvater schickte seine letzten schwachen Strahlen über die Eiswand. Lange schwarze Schatten begannen zu tanzen. Die Nacht erweckte die wütende Windfrau zu neuem Leben.
Zusammengekauert hockte er im Windschatten einer Eisplatte. Er sang sich in den Schlaf: »Ich hörte ihn. Ich hörte den Wolf. Er rief mich. Ich weiß es.«
Im Schlaf kam der Traum zurück.
Zusammen mit dem Wolf trottete er am Großen Fluß entlang. Wieder durchquerte er die Dunkelheit, kletterte die Wände der Gletscher hinauf und erblickte auf der anderen Seite das grüne Tal.
Dort erwartete ihn Tanzende Füchsin. Elegant wie ein Seehund tauchte sie aus einem heißen Teich auf, das Wasser lief perlend über ihren braunen Körper. Ihr feuchtes schwarzes Haar leuchtend im strahlenden Licht klebte an ihrem herrlichen Körper. Mit ausgebreiteten Armen schwamm sie auf ihn zu. Das Wasser glitzerte wie
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