Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
befreien. Ich ergriff die erstbeste sich bietende Gelegenheit. Das ist alles.«
»Die leidenschaftliche Liebe zu seinem Volk kann einen Mann zu einer solchen Tat hinreißen«, pflichtete ihm Büffelrücken bei. »Aber der Speer traf Gebogene Wurzel. Das muß bestraft…«
»Das war ein Unfall!« widersprach Rabenjäger. »Was ist los mit uns? Hier, vor uns steht ein Hexer! Als ich merkte, daß er das Volk verführt, griff ich nach meinen Speeren!«
»Lügner«, erklang wieder die schwache Stimme von Der der schreit. »Du hast meine Speere gestohlen. Dann gingst du auf den Hügel hinauf und suchtest dir den besten Platz zum Werfen. Meine Speere! Weil niemand erfahren sollte, daß du der Täter warst. Mein Zelt steht dem Feuer gegenüber, Rabenjäger. Du hast alles sorgfältig geplant.«
»Deine Speere?« Rabenjäger lachte. »Das macht wohl die Kopfwunde. Du …«
»Wer hat die Speere?« rief Singender Wolf und sah sich suchend um. »Wo ist die Spitze, die den Jungen traf?«
Mit tränenfeuchtem Gesicht trat Gebogene Wurzels Vater vor. Er hielt ein kurzes, blutiges Stück Holz in der Hand. »Wolfsträumer entfernte das aus dem Rücken meines Sohnes. Das ist kein Schaft unseres Volkes. Er ist zu kurz.«
Singender Wolf nahm die grausige Waffe, hielt sie hoch und präsentierte die gebrochene Stelle. »Dies gehört ohne Zweifel Der der schreit. Seht an der Stelle nach, an der der Junge getroffen wurde. Dort entdeckt ihr den abgetrennten Schaftteil. Nur Der der schreit benutzt solche Speere.«
Eine Frau schrie auf und rieb an dem Blut auf dem Speerschaft.
Singender Wolf wandte sich an Rabenjäger. Seine zornglühenden Augen klagten ihn an.
»Du hast den Frieden gebrochen! Du hast einen Angehörigen unseres Volkes getötet, ein Kind noch dazu! Darauf steht die Todesstrafe.«
Vier Zähne schloß die Augen. Er sah elend aus. Langsam richtete er sich auf.
Wolfsträumer ging zu seinem Bruder, schaute ihm in die Augen und murmelte: »Ich bat dich, mich nicht aufzuhalten. Ich sehe Windungen auf deinem Weg in die Zukunft aber nicht auf der ganzen Länge des Weges, den du gehen wirst. Geh! Allein! Erfülle dein Schicksal.«
Rabenjäger knurrte: »Du stößt mich aus der Gemeinschaft aus? Du verfluchst mich?«
Singender Wolf sah ihn scharf an. »Er rettet dir …«
»Geh! Sogar während wir hier sprechen, spinnt die Spinne an ihrem Netz, Bruder. Vollende dein Erbe und kehre zurück. Dann kannst du« seine Stimme schwankte, tief Atem holend fuhr er fort »dann kannst du unsere letzte Begegnung herbeizwingen. Gegensätze kreuzen einander. Das Ende.«
»Die Bedeutung deiner Worte bleibt mir verborgen wie ein Karibukalb im Bauch der Kuh.«
Rabenjägers dunkle Augen zuckten.
»Du mußt dich selbst verlieren, Bruder. Oder du bleibst für immer im Dunkeln. Wofür entscheidest du dich?«
Rabenjäger wandte sich direkt an die gaffende Menge. »Ich nenne meinen Bruder einen Hexer! Ich prangere ihn an, hier, vor euch allen. Ich, Rabenjäger, folge keinem Hexer in die Dunkelheit! Ich, ich ganz allein, stelle mich gegen die Anderen und beweise euch, was Ehre ist!«
Er durchbohrte jeden seiner Krieger mit seinem heißblütigen Blick. Unsicher senkten sie die Augen.
»Wer begleitet mich?«
Keiner sprach ein Wort, keiner rührte sich.
Vier Zähne brach das Schweigen. »Niemand geht mit dir, Rabenjäger. Ich erkläre dich zum Ausgestoßenen.«
»Er hat gemordet]« Singender Wolf explodierte. »Die Strafe für Mord …«
»Nein, Rabenjäger stirbt nicht für den Mord an Gebogene Wurzel.« Wolfsträumer schüttelte den Kopf.
»Und er ist auch kein Ausgestoßener.«
Vier Zähne stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte sich zu voller Körpergröße. Sein Gesicht glühte vor Zorn. »Du wagst es, einem Älteren zu widersprechen, der…« Ein Blick in die Augen des Träumers brachte ihn zum Schweigen. Er sackte in sich zusammen. »Nein, Rabenjäger ist kein Ausgestoßener.«
»Rabenjäger muß sich allein der Zukunft stellen.«
»Feiglinge!« platzte Rabenjäger heraus. »Die Anderen werden uns in den Staub treten. Der Krieg mit den Anderen ist unsere einzige Rettung! Darin liegt Ehre. Ich gehe diesen Weg!«
Rabenjäger schüttelte die Hände ab, die ihn festhalten wollten, und stolzierte zu seinem Zelt. Die Menge bildete eine Gasse und ließ ihn ungehindert durch. Schweigend beobachteten die Leute, wie er seine Waffen, Decken und Beutel zusammenraffte und flink den Pfad hinauflief. Oben auf dem Grat angekommen, blieb er
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